Auftragskalkulation in der Investitionsgüterindustrie / 2 Der Auftrags-Life-Cycle

Durch die Einzigartigkeit jedes Auftrags und die langen Angebots- und Abwicklungszeiten durchläuft jeder Auftrag mehrere Phasen.

2.1 Phasen eines Baugroßauftrags

Am Beispiel eines Bauauftrags lassen sich diese illustrieren (s. Abb. 1). Letztlich handelt es sich bei jedem größeren Bauauftrag um einen klassischen Prozess.^[1] Prozessauslöser beim Auftragnehmer ist hier die Anfrage eines Kunden (Meilenstein "Planungsbeginn" in Abb. 1).

Der Auftragnehmer tritt in die Akquisitionsphase ein, in der er eine Vorselektion vornimmt. Er entscheidet z. B. anhand von Kapazitäten darüber, ob er in die nächste Phase, die Angebotserstellung, eintritt. Die Angebotsphase beinhaltet eine detaillierte technische Planung des Auftrags und die Vorkalkulation und verursacht bereits erhebliche Personalkosten.

Meilenstein nach der Angebotsphase ist die Auftragserteilung, nach der zunächst die Arbeitsvorbereitung und -kalkulation und nachfolgend die Bauausführung beginnen.

Nach Abnahme und den üblichen Verhandlungen über Nachbesserungen bzw. Preisreduktionen erfolgen die Schlussrechnung sowie eine Auftragsevaluation, u. a. auf Basis einer Nachkalkulation. Der abgeschlossene Bauauftrag tritt nun in eine Gewährleistungs- und After-Sales-Phase ein.

Abb. 1: Typische Phasengliederung eines Auftrags in der Bauindustrie^[2]

[1] Best/Weth (2010).

[2] In Anlehnung an Oepen, Phasenorientiertes Bauprojekt-Controlling in bauausführenden Unternehmen, 2002.

2.2 Der Auftrags-Life-Cycle

Schwachstellen der klassischen Auftragssichtweise

Aus Marketing-Gesichtspunkten ist das Prozessende des Auftragsprozesses der Wiederkauf. Die lineare Darstellung des Bauauftrags in Abb. 1 ist daher zu kurz gegriffen. Aufträge sind Bestandteil eines Kreislaufs, dem Auftrags-Life-Cycle - ALC (s. Abb. 2).

Besonderheiten des Auftrags-Life-Cycle

Bezüglich des ALC sind einige Besonderheiten des Auftragsmanagements und der Auftragskalkulation zu beachten:

• Jeder Auftrag ist Bestandteil einer sich immer weiter entwickelnden Kundenbeziehung. Da es bis zu fünfmal teurer ist, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen treuen Kunden zu binden, kommt einer hohen Performance des Unternehmens im ALC und der sich hieraus ergebenden Kundenzufriedenheit eine besondere Bedeutung über den einzelnen Auftrag hinaus zu. Eine hohe Kundenzufriedenheit zeigt sich u. a. in der Vergabe von Folgeaufträgen, in einer geringeren Preissensibilität und in der Weiterempfehlung des Auftragnehmers.

• Wichtigste Meilensteine im ALC sind die Auftragserteilung und die Auftragsabnahme (s. Abb. 2). Zwischen Auftragserteilung und Auftragsabnahme liegen auf der rechten Seite die Phasen der Auftragsabwicklung, die durch etliche kleinere Meilensteine (MS) unterbrochen sein können. Die Phasen Auftragsevaluation, Auftragsselektion und Angebotserstellung zwischen Auftragsabnahme und erneuter Auftragserteilung sind von mindestens gleicher Bedeutung.

  • Im Rahmen der Auftragsevaluation erfolgt neben einer strategischen, technologischen und organisatorischen Bewertung eines Auftrags eine wirtschaftliche Bewertung im Rahmen einer Nachkalkulation.
  • Die Ergebnisse der Auftragsevaluation münden in die Auftragsselektion. Das Unternehmen bestimmt, ob es technologisch und wirtschaftlich in der Lage ist, einen speziellen Auftrag auszuführen. Viel zu häufig werden in dieser Phase Fehler begangen, die eine wirtschaftlich erfolgreiche Abwicklung eines Auftrags unmöglich machen.
  • Die Phase der Angebotserstellung beinhaltet die technische Auftragsplanung, die Vorkalkulation und die Vertragsverhandlungen. Die Vorkalkulation ist nicht ein einmaliger Prozess, sondern in ihrem Verlauf wird ein Kalkulationsgerüst im Rahmen der Verhandlungen über Funktionsumfang und Preis in inkrementellen Schritten immer wieder angepasst.
  • Im Rahmen der Auftragsabwicklung erfolgen Zwischenkalkulationen. Diese erfolgen beim Erreichen von Meilensteinen oder zu Quartals- oder Jahresabschlussstichtagen.
• Im Rahmen der Auftragsabwicklung verändern sich die ursprünglichen Anforderungen des Kunden. Anforderungen, die über das ursprüngliche Angebot hinausgehen, erfordern im Rahmen des sog. Claim Management ergänzende Kalkulationen der zusätzlichen Anforderungen bzw. weitere Zwischenkalkulationen des Gesamtauftrags.

Der bei Ausschreibungen vorherrschende starke Preiswettbewerb unterschiedlicher Bieter für einen Auftrag führt häufig dazu, dass die Aufträge fast zu Selbstkosten vergeben werden. Dann steckt in einem professionellen Claim Management manchmal das einzige, dafür aber auch erhebliche Gewinnpotenzial.

Abb. 2: Der Auftrags-Life-Cycle