Geht es um Entscheidungen, kennt man üblicherweise das Bild der Zielscheibe, bei der man versucht mit dem Pfeil die Mitte zu treffen (siehe Abb. 3). Ein Vorbeischießen kommt demnach einer suboptimalen Entscheidung gleich. Dieses Bild suggeriert, dass es bei Entscheidungen ein Ziel gibt, das getroffen werden soll. Bei realen Entscheidungen zeigt sich jedoch, dass es neben dem konkret angestrebten Ziel auch immer mindestens ein zweites Ziel gibt, das zusätzlich mit verfolgt wird. Strohschneider (2016) unterscheidet dabei zwischen Sachzielen, also jenen, die wir bewusst anstreben und mit unserer Entscheidung erreichen wollen, und Bedürfniszielen, die auf der motivationalen Ebene zu verorten sind und dem Entscheider nicht unbedingt klar sein müssen. Was sind diese Bedürfnisziele, die bei Entscheidungen eine Rolle spielen? Dörner (2014) spricht dabei von "psychischen Bedürfnissen", die mit unseren Entscheidungen auch befriedigt werden wollen. Körperliche Bedürfnisse sind uns meist relativ klar: Wenn wir Hunger verspüren, suchen wir uns etwas zu essen, wenn wir müde sind, versuchen wir früher oder später zu schlafen. Ab einem gewissen Grad sind diese Bedürfnisse befriedigt und wir sind satt bzw. wieder wach. Das gleiche Prinzip lässt sich auch auf den psychischen Bereich übertragen. Demnach hat der Mensch ein Kompetenz-, ein Bestimmtheits- sowie ein Affiliationsbedürfnis. Diese drei Bedürfnisse wollen wir kurz erklären, ebenso deren Funktionsweise.
5.1 Drei zentrale psychische Bedürfnisse
- Kompetenz: Das Bedürfnis nach Kompetenz beschreibt das Streben nach aktiver Kontrolle über die Umwelt. Es beschreibt, inwiefern sich eine Person dazu fähig fühlt, Probleme in der eigenen Umwelt zu lösen. Es wird befriedigt, je wirksamer man seine Umwelt im eigenen Sinne beeinflusst, je größer der Effekt ist, der mit den eigenen Handlungen bewirkt werden kann und wenn man generell Erfolg, besonders in schwierigen Situationen, hat. Das Bedürfnis umfasst generell die Bedürfnisse nach Macht, Kontrolle und Autonomie und steht dabei in Verbindung mit dem empfundenen Selbstbewusstsein sowie dem Selbstwert. Ist das Bedürfnis nach Kompetenz befriedigt, fühlen sich Menschen kompetent, mächtig und haben die "Zügel in der Hand". Wird das Bedürfnis nicht ausreichend befriedigt, fühlen sich Menschen schnell hilflos und empfinden den Verlust von Kompetenz als sehr unangenehm. Von mehreren Forschern wird das Bedürfnis nach Kompetenz übereinstimmend als der zentrale Antreiber des menschlichen Verhaltens beschrieben.
- Bestimmtheit: Mit der Bestimmtheit ist das Bedürfnis nach passiver Kontrolle beschrieben. Passive Kontrolle bezeichnet dabei das Ausmaß, inwiefern man weiß oder fähig ist vorherzusagen, was passieren wird, wie sich Situationen entwickeln werden und was die Bedeutung für einen selbst sein wird. Das Ziel ist, die eigenen Annahmen über zukünftige Ereignisse bestätigen zu können, um somit Unsicherheiten zu beseitigen. Das Bedürfnis nach Bestimmtheit wird demnach durch sämtliche Informationen befriedigt, die Menschen Klarheit, Sicherheit und Eindeutigkeit vermitteln. Situationen, in denen es nur schwer möglich ist, zukünftige Entwicklungen abzuschätzen, können in der Folge zu einer starken Verunsicherung führen.
- Affiliation: Das Bedürfnis nach Affiliation beschreibt ein soziales Bedürfnis. Es umfasst den Wunsch nach Zugehörigkeit und Passung in soziale Gruppen und den damit einhergehenden Signalen der Akzeptanz. Das Ziel ist, sich durch entsprechende Handlungen den Rückhalt der sozialen Gruppe zu sichern und in dieser akzeptiert und angesehen zu werden. Erreicht werden kann dies, wenn in Übereinstimmung mit den Normen anderer Personen oder Gruppen gehandelt wird. Gruppenkonformes und unterstützendes Verhalten führt dabei zu Akzeptanz in der Gruppe. Welches Verhalten im Speziellen als "passend" bewertet wird, hängt sehr stark von der jeweiligen sozialen Gruppe ab, in der sich eine Person befindet. So kann im Arbeitsumfeld ein anderes Verhalten akzeptiert sein als im Sportverein oder gar in der Familie. Menschen haben meist ein gutes Gespür dafür, was in der jeweiligen Gruppe erwünschtem Verhalten entspricht. Ein Verstoß gegen solche Gruppennormen kann sehr unangenehm sein, auch weil der Ausstoß aus der Gruppe drohen kann.
5.2 Der Einfluss der psychischen Bedürfnisse auf Entscheidungen
In allen drei Bereichen ist man bemüht, ein bestimmtes Level zu halten, in dem man sich gut fühlt. Positive Signale aus den drei Bedürfnissen heben das Level an, negative senken es ab. Die Art und Weise der Befriedigung ist individuell erlernt. Was jemand als Machtsignal versteht, was ihm Sicherheit gibt bzw. was in der jeweiligen sozialen Gruppe anerkannt wird, ist individuell unterschiedlich. Ein erfolgreicher Projektabschluss bspw. stellt für den Projektleiter ein solch positives Ereignis dar. Er hat seine Idee im Team durchsetzen können und sogar geschafft, den sonst so kritischen Unternehmenseigentümer zu überze...