Seit den 1990er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wandte sich die Marketingforschung, nach ihrer Fokussierung auf die Produktpolitik, vermehrt den Kundenbeziehungen zu. Einige Jahre später griff die Controllingforschung das Konzept im Rahmen des Kundenwertcontrollings auf. Der Kundenwert (Customer Value) kann dabei aus Kunden- oder aus Anbieterperspektive betrachtet werden. Die Anbieterperspektive widmet sich dem vom Anbieter wahrgenommenen Beitrag eines Kunden oder des gesamten Kundenstamms zur Erreichung seiner monetären und nicht-monetären Ziele. Diese Perspektive befasst sich folglich auch mit der ökonomischen Beurteilung der Kundenbeziehung (customer equity), die der HLB-Anbieter bei der Planung seines Leistungsangebots anstrebt.
Neben dieser Bewertungsperspektive können Kundenwertmodelle nach weiteren Differenzierungskriterien systematisiert werden, die zusammen in Abb. 7 aufgeführt und auf die Anforderungen der HLB-Bewertung übertragen worden sind. Die Bewertungseinheit bildet der Einzelkunde mit seinem HLB, bzw., sofern der Kunde über mehrere Anlagen verfügt, mehreren HLBs. Ziel des HLB-Anbieters ist die wirtschaftliche Bewertung der Kundenbeziehung über den Lebenszyklus des Investitionsguts. Viele Bestimmungsfaktoren, die im Business-to-Consumer-Bereich Eingang finden, wie z. B.
- die Abschätzung der Kundenlebenszeit,
- die Häufigkeit der Kundenkontakte oder
- das Image des Kunden,
sind im hier betrachteten Business-to-Business-Bereich bekannt oder für die Bewertung des Einzelkunden nicht von Bedeutung. So kann sich Anzahl und Art der Komponenten vorrangig auf eindimensionale und quantitative Modelle konzentrieren. Nichts desto trotz ist der hier verfolgte Ansatz um weitere Kriterien zu einem mehrdimensionalen Bewertungsmodell, wie z. B. dem bei der Kundenbewertung meist eingesetzten Scoring-Modell, erweiterbar.
Differenzierungskriterium |
Ausprägungsformen |
HLB-Bewertung |
Perspektive |
Anbieter oder Nachfrager |
Anbieter |
Bewertungseinheit |
Einzelkunden, Kundengruppen, Kundensegmente, Kundenstamm |
Einzelkunde des HLB (ggf. mit mehreren HLBs) |
Anzahl und Art der Komponenten |
eindimensionale vs. mehrdimensionale Ansätze quantitative vs. qualitative Ansätze monetäre vs. nicht-monetäre Ansätze |
vorrangig eindimensionaler Ansatz vorrangig quantitativer Ansatz monetärer Ansatz |
Zeithorizont |
ein- vs. mehrperiodische Ansätze statische vs. dynamische Ansätze Ist- und Prognosegrößen |
mehrperiodischer Ansatz dynamischer Ansatz Ist- und Prognosegrößen |
Berücksichtigte Erfolgsgrößen |
umsatz- bzw. erfolgsbezogene Kundenwerte |
erfolgsbezogene bzw. zahlungsstrombezogene Kundenwerte |
Abb. 7: Differenzierung von Kundenwertmodellen
Die geforderte mehrperiodische Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus im jeweiligen HLB-Geschäftsmodell führt im Bereich des Zeithorizonts zu der Notwendigkeit dynamischer Bewertungsansätze. Neben bereits bekannten Istgrößen, wie z. B. den Auszahlungen für die Anschaffung bzw. Herstellung des Investitionsguts und der digitalen Plattform, basieren diese sowohl auf der Ein- als auch Auszahlungsseite überwiegend auf Prognosewerten. Wird bei der berücksichtigten Erfolgsgröße auf den Zahlungsüberschuss abgestellt, gelangt man schließlich zum Konzept des Customer Lifetime Value (CLV). Dieser ist der aus Sicht des Anbieters berechnete Kundenwert, der den heutigen risikoadjustierten Residualwert der (zukünftigen) kundenbezogenen Ein- und Auszahlungen (Barwert der Kundenbeziehung) ausdrückt. Die sich in der Praxis daraus ergebenden Prognoseprobleme werden jedoch als entscheidender Grund betrachtet, dass sich das an sich überzeugende Verfahren im Business-to-Business-Bereich trotz der langfristigen Geschäftsbeziehungen mit ihren hohen Ein- und Auszahlungen bislang nicht etablieren konnte. Hinzu kommt, dass in Unternehmen mit herkömmlichem Rechnungswesen eine vollständige, verursachungsgerechte, kundenbezogene Zurechnung der eigenen Aufwendungen nicht möglich ist.
Im Investitionsgütergeschäft schwächt sich das Hemmnis jedoch ab, da durch entsprechende Projektsysteme oder Projekte als kostenrechnerische Instanzen in ERP-Systemen eine Zuordnung der Ist-Größen zu entsprechenden Abrechnungsobjekten erfolgen kann. Gleichzeitig bieten mittlerweile selbst ERP-Systeme, die auf den Einsatz in klein- und mittelständischen Unternehmen abzielen, die Abrechnung von Serviceaufträgen mit hinterlegten Serviceverträgen an. Spätestens der Übergang zu digitalen HLBs und deren Plattformen und Geschäftsmodellen entkräftet dieses Argument völlig. Liegt der Berechnung zudem ein vertragsbasiertes Geschäftsmodell auf Basis z. B. von SLAs zugrunde, wie dies bei den hybriden Produkten der Fall ist, kann auch die Schätzungsungenauigkeit über vertragliche Regelungen und Erfahrungswerte des Anbieters reduziert werden. Daher bietet sich dann die Bewertung der Kundenbeziehung über das CLV-Modell an. Zum Abschluss soll daher die Anwendung dieses Modells auf die HLB-Geschäftsmodelle beispielhaft übertragen werden.