Prof. Dr. Andreas Seufert, Ralph Treitz
Zusammenfassung
- In Krisenzeiten sind Unternehmen darauf angewiesen, dass Strukturen und Prozesse schnelle, zielsichere Reaktionen ermöglichen. Diese Fähigkeit muss vor der Krise geschaffen und institutionalisiert werden.
- Dem Controlling kann dabei eine Schlüsselrolle zukommen. In vielen Unternehmen besteht allerdings eine Diskrepanz zwischen definierter Rolle, impliziten Wunschvorstellungen und der Ausstattung des Controllings zur Erfüllung seiner Aufgaben.
- Die entscheidenden Arbeitsfelder für ein schlagkräftig aufgestelltes Controlling sind Methodenkompetenz und die Einbindung in ein geeignetes Steuerungsmodell.
- Der Beitrag schildert Fortschritte aber auch bestehende Widersprüche, sowohl anhand von empirischen Untersuchungen als auch am praktischen Beispiel, und bietet Lösungsvorschläge an.
1 Drei Schlaglichter auf die Entwicklung des Controllings
1.1 Herbst 2009
Während der Finanzkrise muss ein deutsches Großunternehmen feststellen, dass die Ermittlung des gesamten, unternehmensweiten Exposures gegenüber einem großen, aber ausfallgefährdeten Kunden rund 6 Monate dauert. Das zugrunde liegende Problem: Die Daten liegen verteilt und nicht unmittelbar aggregierbar in unterschiedlichen IT-Anwendungen, in unterschiedlicher Repräsentierung vor. Das notwendige Know-how und die Werkzeuge, um die Daten zeitnah zusammenzuführen, sind schlicht nicht vorhanden.
In der Konsequenz hat das Unternehmen einerseits große Anstrengungen in Form von Projekten zur Datenverfügbarkeit unternommen. So wurde z. B. ein zentraler Data Lake geschaffen, auf dem mit analytischen Werkzeugen Dashboards aufgebaut werden, die unternehmensweite Daten zusammenführen. Andererseits wurde durch Überführung der Kreditverpflichtungen in eine eigene Bank versucht, das Thema operativ beherrschbar zu machen.
1.2 Frühjahr 2014
Anlässlich einer Tagung zum Thema Finanzfunktion und Controlling in Zürich wurde im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit Geschäftsführern mittlerer und großer Unternehmen die Frage diskutiert: "Was erwarten Sie von Ihrem Controlling und den dort tätigen Controllern/ innen?". Im Kern lauteten die Antworten:
- Das Controlling muss die Zahlen für die Entscheidungsträger stets parat haben.
- Als Geschäftsführer benötige ich schnelle Antworten auf alle etwaigen aufkommenden Fragen.
- Das Controlling muss die Werkzeuge im Griff haben (auf Nachfrage: "meist ist das wohl Excel").
Eine wesentliche Erkenntnis der Podiumsdiskussion war, dass die Rolle des Controllings passiv gesehen wird. Situationen der Nicht-Verfügbarkeit von Datenmaterial, wie im vorherigen Abschnitt geschildert, sollen sich nicht wiederholen. Dagegen wird der Einfluss des Controllings durch aktive Interpretation von Daten, proaktive Interpretation von Informationen oder gar eine aktive Ratgeberrolle nicht erwähnt. Auf Nachfrage wurde eine solche Rolle als nicht sinnvoll eingeordnet. Eine etwas zugespitzte Formulierung könnte lauten: Für das Festlegen dessen, was wichtig ist und welche Schlussfolgerungen auch nur zu erwägen sind, sind die Geschäftsführer zuständig. Das Controlling soll sich auf Zulieferung lesbarer Zahlen und Fakten beschränken.
1.3 Januar 2020
In einer Fallstudie zum Einsatz eines Prescriptive Analytics Tools bei der Robert Bosch GmbH stellen die Autoren fest, dass mithilfe moderner, auf künstlicher Intelligenz basierender Werkzeuge Geschwindigkeit und Qualität der Auswertung erheblich gesteigert werden können.
Die Umsetzung der Erkenntnisse wird jedoch behindert durch
- Aufwände, die Erkenntnisse der Software manuell nachzurechnen um sicherzugehen, dass die Ergebnisse auch erklärt und "rechnerisch bewiesen" werden können;
- das Fehlen von Steuerungsmodellen, die es erlauben, Erkenntnisse, die zwar gefunden, aber so gar nicht gesucht worden waren, als Handlungsoptionen einfließen zu lassen.
1.4 Der Fortschritt aus 10 Jahren Controlling
Die 3 genannten Beispiele stehen exemplarisch für viele weitere, ähnlich gelagerte Situationen im Verlauf der letzten 10 Jahre.
Ein positives Ergebnis ist, dass es bezogen auf die technischen Möglichkeiten einen deutlichen Fortschritt gibt. Während 2009 der Mangel an verfügbaren Daten noch das Hauptproblem darstellte, sehen wir nun, dass das Controlling zumindest über so viele Daten verfügt, dass man auch fortgeschrittene Werkzeuge aus dem Baukasten von Statistik und Machine Learning für allgemeine Controllingaufgaben einsetzen kann.
Allerdings bleibt bei aller Bereitstellung von Information die offene Flanke, dass der Einfluss des Controllings durch Nutzung der Erkenntnisse und Umsetzung in Entscheidungen und Aktionen weit hinter den Möglichkeiten bleibt. Fehlendes Vertrauen in die Ergebnisse und fehlende Steuerungsmodelle hinsichtlich der Umsetzung von Erkenntnissen sind wesentliche Hindernisse.
Man darf also fragen, was zu tun wäre, um das Controlling nachhaltig so aufzustellen, dass man schnell und bedarfsgerecht Erkenntnisse erwarten kann, die auch das Vertrauen der jeweiligen Entscheider finden, und wie man ein Unternehmen so organisieren kann, dass die Möglichkeiten des Controllings auch tatsächlich bis ins operative Geschäft vordringen un...