Im Automotive-Umfeld produziert unser Kunde Stoßfänger, die Just-in-Time direkt zum Autohersteller geliefert werden. Nun sind Stoßfänger komplexe Baugruppen, sodass sich unabhängig von der Farbe bei Produktion in Stückzahl 1 eine enorme Variantenvielfalt für jedes Modell ergibt (vgl. Abb. 5).
Bei der Produktion kommt es hin und wieder zu falschen Lieferungen. Dies hat bei Just-in-Time Produktion fatale Folgen, weshalb nach einer Lösung des Problems gesucht wird. Hinter der relativ einfach klingenden Aufgabe verbirgt sich aber ein komplizierter Prozess zwischen Zulieferer und OEM. Der OEM schickt dem Zulieferer 5-6 Tage vor der Produktion des Stoßfängers eine Vielzahl an Voranfragen mit Spezifikationen, die so aber erst einmal nicht produziert werden sollen. Erst 7 Stunden vor dem Bedarf am Band wird die endgültige Spezifikation aus dem Kreis der Voranfragen bestätigt. Dabei kommt es hin und wieder zu Fehlbestellungen durch den OEM, der dafür aber den Zulieferer verantwortlich macht – hatte dieser doch genügend Zeit, die Richtigkeit zu überprüfen. In der kurzen Zeit von 7h ab endgültiger Spezifikation muss produziert und beim OEM angeliefert werden. Damit dies logistisch überhaupt möglich ist, befinden sich Werke des Zulieferers in der Nähe der Produktionsstätten des OEM.
Die interne Analytik-Abteilung des Kunden erprobte hierfür diverse KI-Modelle, deren Grundprinzip das Lernen aus Daten ist. Bei dieser Anwendung kann KI oder Statistik nicht zum Erfolg führen, da immer wieder neue zulässige Varianten auftreten können, die dem Algorithmus bisher nicht bekannt und selbst geringste Klassifikationsfehler nicht akzeptabel sind. Hinzu kam als weitere Schwierigkeit, dass bisher Spezifikationen der Voranfragen und der richtigen oder fehlerhaften Stoßfänger nicht systematisch abgespeichert wurden.
Abb. 5: Stoßfänger sind komplexe Baugruppen
Nach Workshops vor Ort wurde von uns eine Brute-Force-Lösung als zielführend entwickelt. Dabei wurde zunächst wie bisher produziert und zeitgleich mit Spezifikationen der Voranfragen eine Wissensbasis mit drei Klassen aufgebaut: Voranfrage, produziert & richtig, produziert & falsch. Jeder produzierte Stoßfänger liefert ein Ergebnis, nach dem dessen Spezifikation von Voranfragen in die Klassen richtig oder falsch verschoben wird. Nach einer gewissen Zeit stellt sich ein Sättigungseffekt bei den richtigen Konfigurationen ein, ab dem die Wissensbasis produktiv genutzt werden kann. Die Umsetzung ist dann naheliegend: Es erfolgt eine Verprobung aller eingehenden Voranfragen gegen die Wissensbasis. Passt die Voranfrage zu einer der beiden Klassen, ist die Entscheidung klar. Für die wenigen anderen wird nun die Zeit zwischen Voranfrage und Produktion genutzt, um beim OEM nachzufragen.
Fazit: Die Entscheidungslösung für die Stoßfänger-Produktion wird über ein wissensbasiertes System gelöst, wobei die Wissensbasis mit jedem produzierten Stoßfänger anwächst. Fehlproduktionen gehen jetzt praktisch gegen Null – auch, weil die OEM jetzt sorgsamer bei den Spezifikationen der Voranfragen sind. Der Nutzen der neuen Entscheidungslösung kann nur im Vergleich zur vorherigen Situation bewertet werden. Wir kennen diesen Wert nicht, wissen aber, dass das Brute-Force-Modell inzwischen in allen Werken unseres Kunden im Einsatz ist.
Die Beispiele zeigen, dass sich mit Data Science meist für alle Probleme eine geeignete innovative digitale Lösung finden lässt, die allerdings nicht im Entscheidungsbaum für die Wahl der Algorithmen zu finden sein muss.