Seyma Bosluk, Sonja Köberlein
Dieses Praxis-Beispiel bezieht sich auf einen großen deutschen DAX-Konzern, der seine Planung und sein Forecasting vollumfänglich weiterentwickelte. Die Ausgangssituation ist geprägt durch eine unternehmerische Dynamik, die in den letzten Jahren gestiegen ist, während die Art und Weise, wie das Unternehmen geführt wurde, weitgehend gleich blieb.
Der vorherrschende Steuerungsprozess ermöglichte es dem Unternehmen nicht, flexibel und adaptiv auf (interne oder externe) Veränderungen reagieren zu können und unternehmerisch gegenzusteuern. Die Planung war durch einen Bottom-up Ansatz geprägt von zeitintensiven und ineffizienten Abstimmungen, der zudem das Risiko in sich trug, dass Ziele bewusst niedrig angesetzt wurden, um sie zu übertreffen und gehaltlich davon zu profitieren.
6.1 Ausgangssituation und Zielbild
Das Unternehmen fokussierte sich auf eine Umgestaltung des Steuerungsprozesses, um diese Herausforderungen zu lösen. Die Zielbildentwicklung machte dabei ersichtlich, dass eine nachhaltige Veränderung der Steuerungsprozesse nur dann zustande kommen würde, wenn sie mit einer neuen und passenden Denkweise und Unternehmenskultur umgesetzt und begleitet werden würde. Somit entwickelte sich das Zielbild einer neuen Kultur mit folgenden Stoßrichtungen:
- Purpose: Von der Aushandlung eines Budgets und der vorausschauenden Buchführung hin zur Verwirklichung eines Ziels.
- Fokus: Von finanziellen Details hin zu den treibenden Kräften des Unternehmens und den wichtigsten Finanzdaten.
- Prozess: Vom Diskutieren und Iterieren hin zum Leiten und Ausführen.
- System: Von der manuellen Arbeit hin zur Automatisierung, Intelligenz und Skalierbarkeit.
- Denkweise: Vom "Streben nach Perfektion" hin zur Vereinfachung und zur Ausführung mit Dringlichkeit (auf allen Hierarchie-Ebenen).
Um diese Ziele zu erreichen, sollte die jährliche Bottom-up-Budgetierung und die Validierung von Zielen abgeschafft und detaillierte Finanzbudgets durch Top-down-Ziele ersetzt und der Forecast auf eine rollierende 18-Monate-Prognose umgestellt werden (s. Abb. 5).
Abb. 5: Schematische Abbildung Ausgangsituation und Zielbild des Performance Managements
Als Unterstützung wurden modernste Technologien für das Forecasting und Target Setting eingeführt. Infolgedessen wurde das Anreizsystem so ausgestaltet, dass die Anreizindikatoren einerseits ehrgeizig sind, andererseits aber auch eine motivierende Wirkung sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene abbilden. Zudem wurde ein Change- und Kommunikationsmanagement aufgesetzt, um diese Art der High Performance Culture schrittweise zu initiieren.
Die Umsetzung dieses Vorhabens machte viele Herausforderungen und Anforderungen auf die Denk- und Verhaltensweise sichtbar:
- Eine neue Art von Disziplin war gefordert: Um akkurate Forecasts zu ermöglichen, war ein Klima gegenseitigen Vertrauens erforderlich, das vom Top Management nicht durch direktes Eingreifen in dezentrale Entscheidungen oder die Forderung nach bestimmten Aktionen untergraben werden darf.
- Eine Verlagerung von Entscheidungskompetenz und Verantwortung wurde gefordert, z. T. auf die niedrigste mögliche Ebene.
- Das Datenverständnis veränderte sich teilweise, da künftig glaubwürdige und nachvollziehbare Managemententscheidungen auf veränderten Datenebenen erfolgten.
- Zum Teil wurden neue und veränderte Controlling-Fähigkeiten gefordert, besonders im Umgang mit neuen Technologien und Tools.
- Weiterentwicklung der Controlling-Rollen und neue Art der Zusammenarbeit zwischen Controlling und Business wurde erforderlich. Controller sind verstärkt strategischer Geschäftspartner, um eine bessere Zielerreichung zu gewährleisten. Kompetenz und Fähigkeiten der Controller mussten darauf ausgerichtet werden.
6.2 Definition von Change-Prinzipien – wissen, worauf es ankommt
Im Rahmen der Einführung einer neuen Form der Zielsetzung sowie rollierender Forecasts wurde ein Change-Ansatz aufgesetzt, der bestimmte Prinzipien berücksichtigte, um das Vorhaben nicht nur fachlich entsprechend umzusetzen, sondern auch die direkt und indirekt betroffenen Zielgruppen bestmöglich in der geforderten Verhaltensänderung zu begleiten. Der Change-Ansatz fokussierte sich dabei auf 8 Prinzipien:
- Verstehen, wie das Vorhaben innerhalb des Unternehmens zu positionieren ist, um die gewünschte kulturelle Veränderung zu untermauern.
- Verstehen, wer im Driver und Co-Driver Seat eines solchen Vorhabens sitzt und dies entsprechend durch den Change-Ansatz unterstreichen und fördern.
- Motivierte Projektteam-Mitglieder sind die ersten und zu Beginn des Vorhabens die wichtigsten Multiplikatoren für dieses Vorhaben.
- Passende "Andockmöglichkeiten" je Zielgruppe verfolgen (z. B. die Sprache der Controller ist verstärkt Zahlen – sachlicher Change-Einstieg).
- Ganzheitlichkeit und Abhängigkeiten der Veränderungsdimensionen verstehen und im Change-Ansatz im Sinne der 4 Change-Hebel berücksichtigen: 1.) Ich will mich verändern (Einsicht und Motivation), 2.) Ich kann mich verändern (Fähigkeiten und Kompetenzen), 3.) Ich soll mich verändern und werde von Strukturen, Prozessen und Systemen unterstützt (Strukturen und P...