Prof. Oliver Gassmann, Roman Sauer
Der BMI-Prozess des St. Galler Business Model Navigators unterteilt sich in 4 Phasen (vgl. Abb. 3): Initiation, Ideation, Integration und Implementation. Diese 4 generischen Innovationsphasen werden im Folgenden genauer erläutert.
Abb. 3: Der St. Galler Business Model Navigator
5.1 1. Phase: Initiation
Analyse zur Ableitung individueller Bewertungskriterien
Die Initiationsphase hat das Ziel, Klarheit über die Besonderheiten des Marktes zu schaffen. Dabei sollen mögliche Bedrohungen und Potenziale neuer Technologien erkannt sowie tiefer liegende Kundenbedürfnisse identifiziert werden. Ein weiteres Ziel der 1. Phase des St. Galler Business Model Navigators liegt in der Identifikation von Bewertungskriterien. Diese sind als Anforderungen an den zu durchlaufenden Innovationsprozess zu verstehen. In der Initiationsphase gilt es herauszufinden, was die konkreten Inhalte der Bewertungsdimensionen sind.
Auseinandersetzung mit dem Status quo
Zu Beginn der Initiationsphase ist zunächst ein Kernteam zu identifizieren, welches das BMI-Projekt über die nächsten Monate treibt. Wichtig ist, dass die richtigen Entscheider von Anfang an am Tisch sitzen und mit einbezogen werden. Es bleibt jedoch unabdingbar, weitere Unterstützer und Umsetzer, welche im späteren Verlauf des Prozesses die Ideen auf der Detailebene ausarbeiten, von Anfang an mit ins Boot zu holen. Sobald die Projektteilnehmer und Rollen identifiziert wurden, wird mit einer ausführlichen Marktrecherche ein holistisches Bild des Marktumfelds (Kunden, Lieferanten, Partner, Wettbewerber, Substitute) erstellt. Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Analyse der technologischen Entwicklungen im Markt, um potenzielle Chancen und Risiken zu identifizieren, sowie auf der Analyse der Kundenbedürfnisse. Hierzu werden Empathy Maps entwickelt, Interviews mit Kunden und ggf. auch interaktive Kundenworkshops durchgeführt.
Was ist eine Empathy Map?
Eine Empathy Map beschreibt einen Kunden durch verschiedenste Sinneswahrnehmungen. Was denkt unser Kunde? Was sieht, hört, sagt und fühlt unser Kunde? Was wünscht und fürchtet unser Kunde? Um diese Fragen beantworten zu können, muss man sich sehr empathisch in den Kunden hineinfühlen.
Kundenbedürfnisse liegen oftmals tief verborgen
Oft zeigt sich ein unklares Verständnis über die Kundenbedürfnisse, insbesondere wenn diese tiefer verborgen liegen oder es sich um für das Unternehmen neue Kunden handelt. Eine weitere Herausforderung ist es, neue Technologien zu identifizieren, welche nicht zur angestammten Branche gehören, in Zukunft möglicherweise jedoch relevant sein könnten. Input können hier nicht nur das eigene Technologiemanagement liefern, sondern auch Experten für das Roadmapping und Screening generischer Technologietrends. Es ist notwendig, einen strukturierten Analyseprozess durchzusetzen, der alle relevanten Unternehmensaspekte miteinbezieht und von allen Teilnehmern verstanden wird.
Bewertungskriterien festlegen
Am Ende der Initiationsphase sollte ein klares Bild über den Status quo des Unternehmens und seines bestehenden Geschäftsmodells vorliegen. Die Bewertungsdimensionen "Wer sind wir und was können wir?", "Kundenbedürfnisse" und "Finanzielle Ziele" sollten eindeutig beantwortet werden. Diesen Filter müssen spätere Geschäftsmodellideen im Selektionsprozess passieren.
5.2 2. Phase: Ideation
Eine der größten Herausforderungen im Geschäftsmodellinnovationsprozess liegt darin, die dominante Logik einer Branche radikal zu durchbrechen. Unternehmen wie IKEA oder Ryanair ist dies in der Vergangenheit gelungen. Es sind jedoch Ausnahmen – i. d. R. bewegen sich die meisten Unternehmen innerhalb ihrer Branchenlogik bzw. ihres Geschäftsmodells und versuchen, sich durch neue Produkt-, Service- oder Prozessoptimierungen/-innovationen vom Wettbewerb zu differenzieren. Das Ziel der Ideationsphase ist es, einen größeren Schritt zu machen, die "Extrameile" zu gehen und die bestehende Logik zu durchdringen.
Innovationen durch generische Geschäftsmodellmuster
Zur Unterstützung dieses Schritts verwendet der St. Galler Business Model Navigator generische Geschäftsmodellmuster. In einem langfristig angelegten Forschungsprojekt am Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen wurden in einem mehrjährigen Zeitraum mehr als 250 BMIs der letzten 50 Jahre analysiert und ausgewertet. Als Ergebnis dieser Studie wurden 55 Geschäftsmodellmuster identifiziert – Logiken, auf denen erfolgreiche Geschäftsmodelle basieren. Ein von IKEA verwendetes Geschäftsmodellmuster ist beispielsweise "Self-Service" – die Logik, dass der Kunde einen Teil der Leistung selbst erbringt. Ein von Ryanair genutztes Geschäftsmodellmuster ist die Logik des "No Frills". Hier wird versucht, die Kosten auf das Minimum zu senken, indem auf den absoluten Kernnutzen (von A nach B zu fliegen) reduziert wird. Beide Muster dienen in diesen Beispielen dazu, Kosten zu senken, um ein Produkt bzw. eine Dienstleistung radikal günstiger anbieten zu können.
Abb. 4: Razor-...