Die Abkehr von eher linearen, eindimensionalen Entscheidungsstrukturen wie dem ROI-Baum und die Hinwendung zu mehrkriteriellen, verschiedene Interessen und Ziele einbeziehenden integrativen Steuerungsmethoden konfrontiert die Führungskräfte im Unternehmen mit massiven Problemen der Komplexität.
Die Komplexität steigt mit der zunehmenden Geschwindigkeit, in der sich die Rahmenbedingungen des Unternehmens, also u. a. technische Möglichkeiten, Kundenanforderungen, Marktstrukturen, ändern. Diese Veränderung ist die neue Normalität im Unternehmen. Fertigungsprozesse erzeugen flexibel kundenindividuelle Produkte in der Fließfertigung. Kosten- und Organisationsstrukturen ändern sich ständig, Vergleiche mit Vergangenheitswerten ist zunehmend nicht mehr möglich.
In diesem Umfeld sind (Management-)Entscheidungen immer schwerer, insbesondere, wenn sie den Anspruch auf die integrative Berücksichtigung aller Stakeholder-Interessen erfüllen sollen.
Dieses Dilemma lässt sich nicht mit mehr Management o. ä. lösen, sondern erfordert ein anderes Mindset und damit eine andere Herangehensweise an diese Komplexität.
3.3.1 Neue Möglichkeiten der Komplexitätsbewältigung finden
Für die integrative Unternehmenssteuerung ist es wichtig, Informationen zu teilen und viele Menschen einzubeziehen in die Entscheidungsfindungen. Teilhabe und Eigenständigkeit vor Ort sind bedeutsam, um auf die Kundenwünsche eingehen und die Variantenvielfalt bewältigen zu können. Die wechselseitigen Abhängigkeiten in der Kooperation sowie der damit verbundene Abstimmungsbedarf und Informationsaustausch steigen exponentiell an. Die Flut an E-Mails und Meetings ist ein alltäglich spürbarer Indikator für diese Entwicklung. Was zu Taylors Zeiten als geniale Lösung der Unternehmenssteuerung die Praxis eroberte, gilt inzwischen nur noch als untauglich.
Wir müssen also neue Formen des Umgangs mit der Komplexität finden. Die Natur löst das Problem durch einfache Kombinationen von Selbstorganisation und Verbundenheit. Selbstorganisation entsteht immer dann, wenn die Informationsströme zu komplex werden.
Diese sich selbst findenden und eigenständig entscheidenden Teams bieten zweifellos eine neue Art, mit der Komplexität der Informationsströme umzugehen.
Solche Teams nennen wir heute "agil". Und wir beschreiben agile Arbeitsweisen durch
- kundenorientierte Organisationsstrukturen
- teambasierte Abläufe
- iterative Prozesse
- Transparenz und Einfachheit
- kurzfristige Feedback-Mechanismen.
Auf die Umsetzung des Konzepts agiler Teams werden wir in Kapitel 4 etwas tiefer eingehen. Ergänzend gibt es diverse Informationen zum Aufbau agiler Teams. Dabei wird klar, dass agile Teams nicht einfach ein neues Organisationsmodell sind, sondern ein neues Paradigma der kollektiven Wertschöpfung.
Entscheidungen und Reaktionen auf Unvorhergesehenes erfolgt in komplexen Situationen anders als in deterministischen Situationen. Unter VUCA-Bedingungen wird es sinnvoll, erst auf Basis von Erfahrungen aus dem Testen neuer oder veränderten Möglichkeiten zu entscheiden (ausprobieren), die Auswirkungen der Reaktion zu beobachten (erkennen), um dann mit gezielten Maßnahmen oder weiterem Ausprobieren den gewünschten Effekt zu erreichen. Diese Vorgehensweise entspricht den agilen Methoden des Projektmanagements, z. B. SCRUM (s. Abb. 12).
Abb. 12: Agiler Kreislauf
Ein Ansatz, die agilen Methoden, die sich – ausgelöst durch das agile Manifest 2001 – auf Projektebene entwickelt und in der Praxis als sehr erfolgreiches Instrument im Umgang mit Komplexität bewiesen haben, auf größere Organisationseinheiten zu skalieren, ist das Scaled Agile Framework (SAFe). Ausgehend vom "Lean Portfolio Management", das aus der Vision abgeleitete Wertschöpfungsideen zusammen mit den wesentlichen Stakeholdern generiert, werden die für deren Umsetzung erforderlichen Aufgaben schrittweise bis auf Team-Ebene heruntergebrochen (von sogenannten Epics über Features bis zu User Stories und Tasks). Die Synthese der einzelnen Team-Ergebnisse sowie die Steuerung der Termineinhaltung und der Abhängigkeiten zwischen den Teams erfolgt durch eine dezidierte, fast akribische Methode, in der spezifische Rollen in ihrem Zusammenwirken die Zielerreichung sicherstellen. Im Wesentlichen sind dies der Scrum Master, der Product Owner und der Release Train Engineer, die gemeinsam dafür sorgen, dass eine über mehrere Teams abgestimmte Leistung wie geplant erzeugt wird.
Diese Steuerung und die vorangehende Planung haben jedoch nur einen Horizont von wenigen Monate, typischerweise 10 Wochen. In diesem Zeitraum sind die Auswirkungen der Komplexität noch überschaubar. Eine solche agile Arbeitsweise in großen Teilen des Unternehmens erlaubt also, integrative (mehrkriterielle) Entscheidungen zu treffen und durch die einzelnen Teams einen hohen Leistungsgrad zu entwickeln.
Was können wir von solchen Unternehmen für unsere eigene Steuerungspraxis lernen? Im Kern sind es fünf Bausteine, die in verschiedenen Ausprägungen bei allen Lösungen eine Rolle spielen:
- Moderne Unternehmen bieten ihren Teams attraktive Formen der Infor...