Prof. Dr. rer. pol. Hanno Kirsch
3.1 Ansatz des erworbenen identifizierbaren Nettovermögens
Rz. 62a
Grundsätzlich hat ein Unternehmenserwerber sämtliche erworbenen identifizierbaren Vermögenswerte und Schulden zum Erwerbszeitpunkt anzusetzen, zu bewerten und anschließend im Rahmen von Folgebewertungen fortzuschreiben. Ebenso wie in der einzelbilanziellen Rechnungslegung IFRS 16 aus Praktikabilitätsgründen die unter Rz. 39c dargestellten Wahlrechte gewährt, darf auch ein Unternehmenserwerber auf die bilanzielle Abbildung von kurzfristigen Leasingverhältnissen und Leasingverhältnissen, denen (jeweils) ein Vermögenswert von geringem Wert zugrunde liegt, verzichten.
Entscheidet sich der Unternehmenserwerber hingegen für die bilanzielle Abbildung, so wird für das Leasingverhältnis eine Leasingverbindlichkeit und ein betragsmäßig gleich hohes RoU-Asset aufgenommen.
Rz. 62b
Sofern der Unternehmenserwerber das Wahlrecht zum Verzicht auf bilanzielle Aufnahme der kurzfristigen Leasingverhältnisse und der "low value"-Leasingverhältnisse nach IFRS 3.28A ausübt, verändert sich aufgrund der alternativen betragsmäßigen Identität von RoU-Asset und Leasingverbindlichkeit zwar – im Regelfall (vgl. Rz. 121) – nicht der Goodwill; allerdings führt der Verzicht auf die bilanzielle Abbildung der genannten Leasingverhältnisse zum Ausweis einer geringeren bilanziellen Verschuldung in der Konzernbilanz. In den auf den Unternehmenszusammenschluss nachfolgenden Perioden ergibt sich bei Verzicht auf den bilanziellen Ansatz der Leasingverhältnisse, in die ein Unternehmenserwerb als Leasingnehmer eintritt, unter der Voraussetzung einer alternativ linearen Abschreibung der RoU-Assets und einer aufgrund der konstanten Effektivverzinsung im Zeitablauf nur degressiv fallenden alternativen Leasingverbindlichkeit ein (temporär) höherer Eigenkapitalausweis, der sich zum Zeitpunkt der Beendigung der Leasingverhältnisse, für die nach IFRS 3.28A ein solches Wahlrecht besteht, auflöst. Korrespondierend hierzu verbessert sich bei Verzicht auf die bilanzielle Abbildung der genannten Leasingverhältnisse in der bzw. den unmittelbar auf den Zeitpunkt des Unternehmenszusammenschlusses nachfolgenden Berichtsperioden das Ergebnis gegenüber einer hypothetischen bilanziellen Abbildung, während sich dieser Ergebniseffekt gegen Ende der Leasingzeiträume dieser Leasingverhältnisse umkehrt.
3.2 Anwendung der Full-Goodwill-Methode versus Neubewertungsmethode zur Einbeziehung von Tochterunternehmen mit Anteilen nicht beherrschender Gesellschafter
Rz. 63
IFRS 3.19 gewährt dem nach der IFRS-Rechnungslegung Bilanzierenden für jeden einzelnen Unternehmenszusammenschluss das Wahlrecht, die Anteile nicht beherrschender Gesellschafter entweder zum beizulegenden Zeitwert oder zu dem den Anteilen nicht beherrschender Gesellschafter zustehenden Anteil am identifizierbaren Nettovermögen nach Maßgabe der IFRS 3.10–3.31 zu bewerten. Im erstgenannten Fall enthält der Anteil nicht beherrschender Gesellschafter nicht nur den ihnen zustehenden Anteil am identifizierbaren Nettovermögen, sondern auch den auf sie entfallenden goodwill (sog. Full-Goodwill-Methode). Der Ansatz der Anteile nicht beherrschender Gesellschafter mit dem auf die nicht beherrschenden Gesellschafter entfallenden Anteil am identifizierbaren Reinvermögen nach Maßgabe der IFRS 3.10–3.31 wird als Neubewertungsmethode bezeichnet, da die auf die nicht beherrschenden Gesellschafter entfallenden stillen Reserven (Differenzen zwischen beizulegenden Zeitwerten zum Erwerbszeitpunkt und Buchwerten im Einzelabschluss) im identifizierbaren Nettovermögen – unter Beachtung der Bewertungsvorschriften der IFRS 3.10–3.31 – aufgedeckt werden.
Rz. 64
Die Muttergesellschaft M-AG erwirbt zum 1.1.01 eine 60 %-ige Beteiligung an dem Unternehmen T-GmbH zu 900.000 EUR. Für den Erwerb der beherrschenden Beteiligung an der T-GmbH wird keine Beherrschungsprämie von der M-AG gezahlt. Zwischen M-AG und T-GmbH liegt ab 1.1.01 ein Beherrschungsverhältnis vor. Der beizulegende Zeitwert der (unbebauten) Grundstücke beträgt zum Erwerbszeitpunkt 1.1.01 250.000 EUR und derjenige der technischen Anlagen 500.000 EUR. Eventualschulden bestehen nicht. Der anzuwendende Steuersatz ist 30 %. Die Bilanz der T-GmbH hat folgendes Aussehen:
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Bilanz der T-GmbH zum 1.1.01 |
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A. Langfristiges Vermögen |
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A. Eigenkapital |
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Grundstücke (unbebaut) |
50.000 |
Gezeichnetes Kapital |
300.000 |
Technische Anlagen |
400.000 |
Gewinnrücklagen |
400.000 |
Betriebsausstattung |
350.000 |
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B. Kurzfristiges Vermögen |
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B. Fremdkapital |
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Vorräte |
100.000 |
Pensionsverpflichtungen |
300.000 |
Forderungen aus LuL |
350.000 |
sonstige Rückstellungen |
100.000 |
Bank, Kasse |
250.000 |
Verbindlichkeiten aus LuL |
220.000 |
sonstige Verbindlichkeiten |
180.000 |
Bilanzsumme |
1.500.000 |
Bilanzsumme |
1.500.000 |
Abb. 8: Bilanz der Tochtergesellschaft T-GmbH zum 1.1.01
Das der Gegenleistung für die T-GmbH gegenüberzustellende identifizierbare Nettovermögen, bewertet nach den Wertansätzen nach IFRS 3.10–3.31, ermittelt sich wie folgt:
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Eigenkapital zu Buchwerten 1.1.01 |
700.000 EUR |
+ |
Differenz zwischen beizulegenden Zeitwerten und Buchwerten in |
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* unbebauten Grundstücken |
200.000 EUR |
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* techn... |