Prof. Dr. Markus Grottke, Prof. Dr. Robert Obermaier
3.1 Generelle Ausgangssituation
Im Folgenden werden, um eine Anwendung über den konkreten Fall hinaus zu ermöglichen, die generellen Strukturen des Praxisbeispiels extrahiert. Vereinfacht man die im Praxisbeispiel anzutreffenden Strukturen auf solche, wie sie in nahezu jedem Betrieb anzutreffen sind, so kann man die durch neue IoT-Technologie der Sensorik im Zusammenspiel mit der künstlichen Intelligenz geschaffenen Möglichkeiten graphisch auch anhand der folgenden Gegenüberstellung nachvollziehen (vgl. Abb. 3 und 4):
Trennung von realen Vorgängen und Dokumentation
Abb. 3: Traditionelle rechnungswesenbasierte Sichtweise
In der traditionellen rechnungswesenbasierten Sichtweise wurden reale Vorgänge anhand ihrer Eigenschaft erfasst, Änderungen bei der Verbuchung zu markieren. Bspw. wurde ein Wareneingang durch Menschen bei Liefereingang per Lieferschein erfasst und als Anschaffungskosten verbucht. Die Weiterverarbeitung der Ware wurde dann sukzessive für die Umbuchung in Herstellungskosten dokumentiert, bis das fertige Produkt verkauft wurde und dann als Umsatz zu verbuchen war. Stellten sich darum im Verlauf der Verarbeitung Fehler heraus oder kam es zu Reklamationen eines Kunden, war die Ursachenforschung auf die Dokumentation und den jeweils zuletzt vorliegenden Buchungsstand bzw. das Ergebnis der Inventur beschränkt. Die Ware selbst wurde hingegen nicht maschinell auf Qualität überprüft, z. B. indem während des gesamten Ablaufs beständig direkt in Bezug auf die Ware Informationen durch Kameras oder Sensoren erhoben wurden. Vielmehr waren die realen Vorgänge und die Dokumentation bis auf gelegentlichen Kontakt (i. d. R. über Menschen) getrennt.
3.2 Lösungsansatz
Entscheidungen weitgehend automatisieren
In der neuen digitalisierten Produktionswelt unter Einsatz von Internet of Things-Technologie (IoT) ändert sich dies (s. Abb. 4). Hier treten neben die transaktionsbezogenen Informationen zusätzlich Informationen, welche durch den Einsatz bspw. von Kameras direkt in Echtzeit auf der Ebene der betrieblichen Vorgänge erhoben werden. Da diese Informationen jedoch in sehr hoher Auflösung und in Echtzeit anfallen, bedarf es zusätzlicher Selektionsmechanismen, um die auf der Dokumentationsschicht agierenden Menschen nicht mit allen Informationen zu überfordern, sondern nur mit den entscheidungsrelevanten Informationen zu versorgen. Zugleich gilt, dass menschliche Kapazität entlastet wird, sofern sich Entscheidungen automatisieren lassen, indem Regeln hinterlegt werden oder auf Basis von mittels künstlicher Intelligenz formalisierbaren Zusammenhängen entschieden werden kann.
Abb. 4: Informationssystem unter Einsatz von Sensorik und künstlicher Intelligenz
Entscheidung durch KI oder Disponent?
Bestehen Globalprobleme, werden Entscheidungen weiterhin an den Menschen weitergeleitet. Wenn bspw. die gesamte Lieferung in einer Just in Sequenz-Produktion falsch ist, gibt es kein einfaches Regelwerk. Daher würde dies an den Werker/Disponenten weitergeleitet werden. Wenn hingegen eine einzelne Liefernummer mit dem Behälter, in welchem diese faktisch angeliefert wird nicht übereinstimmt, kann bereits automatisiert eine Sequenzumordnung stattfinden. Gleichermaßen kann z. B. bei einer Teillieferung, welche verspätet eintritt, automatisiert veranlasst werden, dass auf diese gewartet wird.
3.3 Wirtschaftlichkeitsbeurteilung
Die neuen Technologien stellen zusätzliche Informationen bereit, welche verbesserte Entscheidungen induzieren. Eine konkrete Bewertung der Vorteilhaftigkeit einer solchen Investition muss darum an einer Quantifizierung des Werts von Informationen aufgrund ihrer Wirkungen auf Entscheidungen ansetzen. In der Tat lassen sich zahlreiche und auch zahlreiche unternehmensspezifische potenziell verbesserte Entscheidungen auf Basis der IoT-Technologie identifizieren, deren abzuschätzende quantitativen Effekte alle gleichermaßen Gegenstand von Wirtschaftlichkeitsanalysen werden können. Hiervon seien im Folgenden beispielhaft zwei besonders prominente bzw. weit verbreitete Fälle herausgegriffen: So kann der Wert der zusätzlich bereitgestellten Informationen zum einen daher rühren, dass Probleme schneller erkannt und darum kostengünstiger gelöst werden können. Zum anderen kann der Wert darauf zurückzuführen sein, dass die Lieferantenwahl anders durchgeführt wird, weil durch die Investition mehr Transparenz über die Lieferantenqualität erzielt werden kann.
3.3.1 Der Wert von Informationen zum Zweck schnellerer Problemlösungen
Häufig werden in einem Betrieb Probleme erst zu einem späten Zeitpunkt als solche identifiziert. Dies lässt sich an dem eingangs gewählten Beispiel eines Automobilzulieferers gut illustrieren:
Qualitätskontrolle bei Autoreifen
Ist bspw. ein Autoreifen von mangelhafter Qualität und wird dies erst erkannt, wenn das Auto bereits vollständig zusammengebaut oder gar bereits ausgeliefert ist, so können hohe Kosten für ein Reifenwechsel entstehen. Dies gilt nicht nur, weil ein neuer Reifen ggf. erst angeliefert werden muss, sondern auch, weil zunächst vielleicht gar nicht klar ist, dass der Re...