Prof. Dr. Werner Gleißner
Schon aus der Definition von Risiko als Möglichkeit einer Planabweichung wird deutlich, dass Risiken mit Bezug auf einen bestimmten, möglichst explizit zu nennenden Planwert zu quantifizieren sind.
Risiken sind das Resultat von Prognosen
Risiken sind das Resultat der nicht sicher vorhersehbaren Zukunft und Planwerte damit das Resultat von Prognosen. Damit sind Planungs-, Prognose- und Risikomanagementsysteme zwangsläufig miteinander verknüpft. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Risikomanagements (wie gelegentlich zu lesen), eine zukünftige Entwicklung vorherzusehen oder zu prognostizieren. Dies ist die Aufgabe eines Prognosesystems. Und die Risikoquantifizierung befasst sich mit der Frage, in welchem Umfang Abweichungen von einer (bestmöglichen) Prognose eintreten können: Risiko ist die Möglichkeit einer Planabweichung.
Bei sog. "stochastischen" Planungs- oder Prognosemodellen (z. B. einer "stochastischen Unternehmensplanung") werden alle wichtigen Plangrößen durch Zufallsvariablenbeschrieben, sodass aus einer einheitlichen Grundlage Erwartungswert und Risikomaß abgeleitet werden können. Erstere drückt aus, was "im Mittel" passieren wird, und das Risikomaß beschreibt den Umfang möglicher Planabweichungen.
Erwartungstreue Planwerte
Sog. "erwartungstreue" Planwerte, also Planwerte, die "im Mittel" eintreten werden, lassen sich i. d. R. ohne Kenntnis über Chancen und Gefahren (Risiken) gar nicht ermitteln. Im Gegensatz zu "wahrscheinlichsten Werten" werden dabei auch die weniger wahrscheinlichen Szenarien, mögliche positive und negative Abweichungen, berücksichtigt.
Wesentlich ist, dass unternehmerische Entscheidungen (z. B. Investitionsrechnungen) auf Grundlage von Erwartungswerten zu beurteilen sind – und eben nicht auf Basis von einem wahrscheinlichsten Wert (oder Median). Bevor der Umfang eines Risikos quantifiziert wird, sollte ein möglichst aussagefähiger, d. h. erwartungstreuer Plan- oder Prognosewert ermittelt werden, was gute Prognosen erfordert – "schlechte" (z. B. nicht erwartungstreue) Prognosen führen zu einer Überschätzung des tatsächlichen Risikoumfangs.
Für die Quantifizierung von Risiken ist es deshalb sinnvoll, die Veränderungen von Variablen in eine erwartete und eine unerwartete Komponente zu trennen, die den Risikoumfang darstellt (s. Abb. 1). Nicht der Umfang der Veränderung einer Variablen, sondern nur der Umfang unerwarteter Änderung einer Variablen bestimmt das Risiko.
Für die Berechnung der erwarteten Variablenkomponente benötigt man ein Prognosemodell. In der Unternehmenspraxis kann angenommen werden, dass nur zeitreihenanalytische Verfahren (z. B. ARIMA-Modelle) zur Prognose eingesetzt werden. Bei diesen Prognoseverfahren wird die zukünftige Realisation einer Variablen (z. B. Absatzmenge) in Abhängigkeit der eigenen früheren Realisationen prognostiziert.
Auch wenn leistungsfähige ökonometrische und zeitreihenanalytische Verfahren potenziell die besten Prognosen liefern, sind auch schon recht einfache und leicht umsetzbare Prognoseverfahren hilfreich. Das einfachste Prognoseverfahren ist natürlich die schlichte Fortschreibung der Vergangenheit, z. B. des Umsatzes (sog. "naive Prognose"). Etwas aufwändiger, aber auch leistungsfähiger, ist die Methode der "gleitenden Durchschnitte" und eine (möglicherweise ergänzende) Berücksichtigung langfristiger Trends.
Risikobetrachtungen über mehrere Jahre
Eine einfache Anwendung dieses Prognoseverfahrens zeigt folgendes Beispiel: Die Unternehmensführung stützt sich bei der Prognose auf Studien über das langfristige Nachfragewachstum der Branche, die eine mittlere jährliche Wachstumsrate von 3% über die nächsten 5–10 Jahre vorhersagen. Zudem orientiert man sich bei der Prognose des Umsatzes des nächsten Jahres an den Umsatzerlösen, die in den letzten 3 Jahren tatsächlich erreicht wurden. Zum Ausgleich von Zufallsschwankungen berechnet die Unternehmensführung für die Prognose damit zunächst einmal den Durchschnitt des Umsatzes aus den letzten 3 Jahren. Dieser Durchschnittswert wird dann entsprechend der langfristigen Umsatzwachstumsrate von 3% pro Jahr in einen Prognosewert für das Folgejahr umgesetzt. Dabei ist zu beachten, dass die 3 Jahre der Vergangenheit über 3, 2 bzw. 1 Jahr durch diese Wachstumsrate in die Zukunft hochgerechnet werden sollten.
Da sich Risiken grundsätzlich auf Planungs- bzw. Prognosewerte beziehen, sollte das zugrunde gelegte Prognoseverfahren transparent dargestellt werden – und natürlich möglichst gut fundiert sein.
Abb. 1: Risiko und Planungssicherheit
Nach der Risikoquantifizierung werden nur noch die möglichen Abweichungen von Prognosen (Residuen, Zeitreiheninnovationen) betrachtet und durch eine geeignete Wahrscheinlichkeitsverteilung beschrieben (s. Abschnitt 4). Entsprechend beziehen sich auch die Risikomaße (wie die Standardabweichung) auf nicht prognostizierbare Abweichungen. Was vorhersehbar ist, ist kein Risiko.