Die IFRS-Bilanzierung latenter Steuern dient vornehmlich dem zutreffenden Vermögensausweis. Die richtige Periodisierung des Steueraufwands ist ein zumeist, aber nicht immer verwirklichter Nebenzweck.
Beispiel
Die vorausgezahlten Ertragsteuern der Tax Base GmbH entsprechen der veranlagten Steuer. Zwischen der IFRS-Bilanz und der Steuerbilanz besteht jedoch folgender Unterschied: aufgrund von Sonderabschreibungen in der Vergangenheit hat ein Gebäude in der Steuerbilanz einen Wert von 500 TEUR und in der IFRS-Bilanz einen Wert von 900 TEUR.
Der Ertragsteuersatz beträgt 30 %.
Die IFRS-Bilanz weist eine latente Steuerschuld von 120 TEUR (30 % von 400 TEUR) aus. Dies ist der Betrag, den die GmbH in zukünftigen Perioden auf die Wertdifferenz zahlen muss, weil die zukünftigen steuerlichen Abschreibungen hinter der IFRS-Abschreibung zurückbleiben und/oder der zukünftige steuerliche Veräußerungsgewinn höher ausfällt als der nach IFRS.
Auf den Punkt gebracht: würde das Gebäude morgen für 900 TEUR verkauft, ergäbe sich ein Abgangserfolg von 0 in der IFRS-Bilanz, aber dennoch eine Steuerzahlung von 120 TEUR.
Diese "schwebende" Steuerlast legt der IFRS-Buchwert nicht offen. Um gleichwohl zu einem zutreffenden Vermögensausweis zu gelangen, die Netto-Vermögensposition nicht zu günstig zu beurteilen, muss die Steuerlast daher in anderer Weise, nämlich als separater Passivposten in Abzug gebracht werden.
Relevant für den Vermögensausweis sind nur solche bilanziellen Differenzen, die befristeten Charakter haben (temporary differences), d. h. sich spätestens bei Abgang des Bilanzpostens steuerlich auswirken. Sog. permanente Differenzen, die z. B. bei steuerfrei veräußerbaren Beteiligungen bestehen, lösen hingegen auch bei ihrem Abgang keine Steuerbe- oder -entlastungen aus und führen daher nicht zu latenten Steuern. Der Unterschied zwischen beiden Fällen ist in Abb. 2 bis Abb. 4 dargestellt.
Abb. 2 unterstellt eine steuerfreie Beteiligung mit einem IFRS-Buchwert von 10 und einem Steuerbuchwert von 5. Wegen der angenommenen Steuerfreiheit handelt es sich um eine permanente Differenz. Der Buchwertunterschied ist irrelevant. Wird die Beteiligung in Geld "getauscht", entstehen keine Steuern. Der Vorgang ist – wie bei einem Aktivtausch buchhalterisch zu erwarten – vermögenswahrend.
Abb. 3 unterstellt bei im Übrigen gleichen Wertdifferenzen die Veräußerung einer Immobilie zum IFRS-Buchwert von 10. Der Aktivtausch wäre (bei falscher, weil Latenzen unterdrückender Ausgangsbilanz) nicht vermögenswahrend. Das Vermögen (Eigenkapital) würde sich durch die Veräußerung verringern. Ursächlich ist der niedrigere Steuerbuchwert (5). Steuerbilanziell liegt gerade kein reiner Aktivtausch vor, da dem angenommenen Erlös von 10 steuerbilanziell nur ein Buchwertabgang von 5 gegenübersteht. Auf die Differenz von 5 fallen bei einem Steuersatz von 40 % Steuerschulden von 2 an.
Diese Steuer ist in Abb. 4 bereits vor dem Aktivtausch berücksichtigt. Der angenommene Aktivtausch führt nunmehr sachgerecht zu keiner Veränderung des Vermögens. Auf der Aktivseite tritt Geld an die Stelle der Immobilien, auf der Passivseite eine tatsächliche Steuerschuld an die Stelle der latenten Schuld. Das Eigenkapital bleibt richtigerweise unverändert.
Abb. 2: Aktivtausch bei permanenter Differenz
Abb. 3: Aktivtausch bei temporärer Differenz (ohne latente Steuer)
Abb. 4: Aktivtausch bei temporärer Differenz (mit latenter Steuer)
Erst die Berücksichtigung latenter Steuern nach IAS 12 ermöglicht bilanziell die zutreffende Darstellung der Vermögenslage durch Passivierung zukünftiger Steuerbelastungen und Aktivierung zukünftiger Steuerentlastungen. Daneben dient sie in der Regel der zutreffenden Periodisierung des Steueraufwands. Der Ansatz latenter Steuern soll insofern ein Periodisierungsproblem lösen, das durch die Diskrepanz zwischen Steuerbilanz und IFRS-Bilanz ausgelöst wird.
Beispiel
Ein genau am Bilanzstichtag fertiggestelltes Gebäude wird in der Steuerbilanz degressiv mit 10 % abgeschrieben, in der IFRS-Bilanz nur mit 1/360 von 2 %, also praktisch mit 0. Es entstehen folgende Differenzen:
Der Gebäudewert in der IFRS-Bilanz liegt über dem Ansatz der Steuerbilanz.
Die IFRS-Abschreibung des aktuellen Jahres ist niedriger als die steuerliche Abschreibung. Das IFRS-Ergebnis vor Steuern des aktuellen Jahres liegt somit über dem Steuerbilanz-Ergebnis vor Steuern.
Aus den Differenzen ergibt sich folgendes Problem:
Die Steuerquote, d. h. das prozentuale Verhältnis von Steueraufwand zum Ergebnis vor Steuern, ist in der IFRS-Bilanz zunächst zu niedrig. Das IFRS-Ergebnis vor Steuern ist praktisch nicht mit Abschreibungen belastet, der tatsächliche Steueraufwand aber voll durch die degressive Abschreibung gemindert. Der Steueraufwand ist deshalb im Verhältnis zum IFRS-Ergebnis vor Steuern zu gering.
Im Gegenzug werden die Abschreibungen späterer Jahre in der IFRS-Bilanz höher und die Vor-Steuer-Ergebnisse der IFRS-GuV späterer Jahre zunächst niedriger ausfallen als in der entsprechenden Steuerbilanz. D...