Die erste Säule Pillar 1 befasst sich im Rahmen der Neuverteilung von Besteuerungsrechten mit folgenden Fragen:
- Was ist eine Geschäftspräsenz und wie geht man für die Besteuerung mit Aktivitäten ohne physische Präsenz (z. B. beim Onlinehandel) um?
- Welcher Anteil der Gewinne sollte bzw. könnte in denjenigen Ländern besteuert werden, in denen Kunden/Nutzer digitaler Geschäftsmodelle ansässig sind?
- Wo und auf welcher Grundlage sollen Steuern bezahlt werden?
Zur Lösung dieser Fragen schlägt das IF eine Umverteilung von Einkünften vor, bei der allen Marktstaaten ein Besteuerungsrecht eingeräumt wird, wenn multinationale Unternehmen aktiv am jeweiligen Markt partizipieren (auch ohne physische lokale Präsenz, ohne Tochtergesellschaft, ohne Betriebsstätte). Staaten mit Unternehmensteilen, bei denen ein Übergewinn entsteht, sollen im Gegenzug einen Anteil ihres Steuersubstrats abgeben.
Anwendungsbereich
Anwendung finden soll die neue Regelung bei Unternehmen mit einem weltweiten Umsatz von über 20 Milliarden Euro und einer Rentabilität (d. h. Gewinn vor Steuern geteilt durch Umsatz) von über 10 %. Die OECD behält sich vor, die Umsatzgrenze von 20 Milliarden Euro sieben Jahre nach der Implementierung von Pillar 1 auf 10 Milliarden Euro zu reduzieren, falls die Pillar 1 Implementierung erfolgreich war. Im Gegensatz zu früheren Vorschlägen, soll Pillar 1 nicht auf bestimmte Industrien (wie z. B. die digitale Wirtschaft) beschränkt werden – lediglich sollen der Rohstoffsektor sowie regulierte Finanzdienstleistungen ausgenommen sein. Damit dürften entgegen der ersten Intention des Aktionspunktes 1 (Bericht 2015) die meisten Industriezweige wie z. B. Pharma-, Chemie-, Automobilindustrie, Anlagen- und Maschinenbauer, Technologie, Konsumgüter, Software/Online-Industrie sowie die Medizintechnik von den geplanten Pillar-1-Regelungen grundsätzlich betroffen sein.
In Deutschland fallen derzeit aufgrund der Umsatz- und Profitabilitätsgrenzen wohl nur etwa 8 Konzerne unter Pillar 1.
Besteuerungsansatz
Der Anknüpfungspunkt des neuen Besteuerungsrechtes (sog. Nexus) basiert auf einer signifikanten und dauerhaften Teilnahme am jeweiligen lokalen Markt. Der wesentliche Anhaltspunkt ist hierbei der Umsatz im jeweiligen Marktstaat. Als Vereinfachung soll ein Marktstaat nur dann infrage kommen, wenn das Unternehmen einen Umsatz von mindestens 1 Millionen Euro in dem Land erzielt. Ein niedrigerer Grenzwert i. H. v. 250.000 Euro soll für Länder gelten, deren Bruttoinlandsprodukt weniger als 40 Mrd. EUR beträgt. Über Pillar 1 sollen den marktstaaten Gewinne zugeordnet werden, die über den sog. "Betrag A" und "Betrag B" ermittelt werden.
Bei der Bestimmung des "Betrags A" sollen 25 % des Gewinns, der die gewinnmarge von 10 % übersteigt, auf die Marktstaaten verteilt werden.
Konsolidierter Gesamtumsatz: 20 Mrd. EUR Konsolidierter Gesamtgewinn vor Steuern: 3 Mrd. EUR Konsolidierte Rentabilität: 15 % Der "Übergewinn", der 10 % des konsolidierten Gewinns übersteigt: 5 % von 20 Mrd. EUR = 1 Mrd. EUR Davon sind 25 %: 250 Mio. EUR formelhaft auf die Marktstaaten zu verteilen (= Betrag A)
Wenn allerdings der Residualgewinn eines betroffenen multinationalen Unternehmens bereits in einem Marktstaat besteuert wird, dann begrenzt eine Safe-Harbour-Regelung für Marketing- und Vertriebsgewinne den Residualgewinn, der dem Marktstaat über Betrag A zugerechnet wird. Details hierzu sind jedoch noch nicht bekannt. Die Ermittlung von Betrag A erfolgt somit unter Anwendung eines formelbasierten Ansatzes und steht demnach nicht im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz (!).
Um dem signifikanten Streitpotenzial direkt entgegenzuwirken, soll es Streitvermeidungs- und beilegungsmechanismen geben, die eine Doppelbesteuerung von Betrag A verpflichtend und verbindlich verhindern.
Darüber hinaus ordnet Betrag B den jeweiligen Marktstaaten über festgelegte Gewinnmargen eine Vergütung für lokale routinemäßige Marketing- und Vertriebsaktivitäten zu.
Die Detailarbeiten zu Pillar 1 konnten bis Ende 2022 nicht abgeschlossen werden. Im Dezember 2022 ist die Öffentlichkeit gebeten worden, Kommentare/Bedenken/Vorschläge zu Pillar 1 bis Ende Januar 2023 einzureichen.
5.1.9. OECD Pillar 2
Die zweite Säule Pillar 2 befasst sich im Rahmen einer Mindestbesteuerung mit folgenden Fragen: