Dr. Thomas Tesche, Prof. Ulrich Moser
4.1 Grundprinzip: Rekonstruktionswert
Die Frage, selber machen oder kaufen, kann sich in verschiedener Weise stellen:
- bei einer Fluggesellschaft, die ihre Flotte erweitern möchte, als Entscheidung zwischen Erwerb einzelner Flugzeuge und dem Kauf einer anderen Fluggesellschaft;
- bei einem großen Softwareanbieter, der seine Programme um bestimmte E-Business-Komponenten erweitern will, als Entscheidung zwischen eigener Entwicklung und Beteiligung an einem schon tätigen kleineren Unternehmen;
- in einem Unternehmen der Pharmaindustrie stellt sich die Frage, ob ein bestimmter Wirkstoff selbst entwickelt wird oder ein anderes Pharmaunternehmen gekauft wird, das diesen Wirkstoff bereits entwickelt hat.
Wie bei allen make-or-buy-Entscheidungen wird der "Fremdbezug" nur dann der "Eigenfertigung" vorgezogen, wenn er kostengünstiger ist. Aus dieser Sicht wird der Wert eines Zielunternehmens durch die alternativen Kosten (Opportunitätskosten) der Herstellung (Rekonstruktion) eines gleichartigen Unternehmens geprägt.
4.2 Methode und Varianten
Für den Substanzwert oder Rekonstruktionswert eines Unternehmens gilt folgende Beziehung:
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Zeit- oder Wiederbeschaffungsaltwert betriebsnotwendiger Vermögensgegenstände |
– |
Schulden |
+ |
Liquidationswert nicht betriebsnotwendigen Vermögens |
= |
Teilrekonstruktionswert (TRW) |
+ |
Rekonstruktionswert Standort, Ruf, Organisation, Kundenstamm, Humankapital, nicht einzelbewertbares Know-how usw. (= Goodwill-Faktoren) |
= |
Vollrekonstruktionswert (VRW) bzw. Substanzwert |
Der Teilrekonstruktionswert ergibt sich aus den Wiederbeschaffungsneuwerten nach Alters- und Zustandsabschlägen.
Angefallene Kosten als beste Schätzung
Ein großer Softwarekonzern (S-AG) ist an den Entwicklungen eines bisher umsatzlosen Start-up-Unternehmens interessiert. Ein Unternehmenskauf wird erwogen. Der bisher bei wirtschaftlicher Betriebsführung (keine überflüssigen Mitarbeiter, keine überhöhten Gehälter usw.) angefallene Aufwand beträgt 5 Mio. EUR. Schätzungsweise weitere 6 Mio. EUR werden anfallen, bis wirtschaftliche und technische Durchführbarkeit beurteilt werden können.
Angesichts der hohen Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens ist die Ermittlung eines Zukunftserfolgswerts nur schwer möglich. Ein nachvollziehbarer Goodwill existiert nicht. Eine nachvollziehbare Größe sind die bisher angefallenen Kosten. Entsprechen diese normalen Verhältnissen (wirtschaftliche Betriebsführung), wird die S-AG (und ein durchschnittlicher Dritter) ähnliche Kosten aufwenden müssen, um den gleichen Forschungsstand zu erreichen. Die angefallenen Kosten stellen daher unter den gegebenen Verhältnissen die beste Schätzung für den Rekonstruktionswert dar. Der tatsächliche Kaufpreis kann naturgemäß je nach Verhandlungsmacht, Zahl der Kaufinteressenten usw. nach oben oder unten abweichen.
Dem Vollrekonstruktionswert kommt in der Praxis nur eine geringe bzw. fast keine Bedeutung zu. Dessen Ermittlung setzt insbesondere Kenntnisse über die Werte der immateriellen Vermögensgegenstände sowie des Goodwills voraus. Dies bedingt wiederum die Ermittlung eines Zukunftserfolgswerts. Die Ermittlung eines Vollkonstruktionswerts ist dann allerdings nicht mehr von Nöten, da bereits der Zukunftserfolgswert bekannt ist.
Idealisierendes Beispiel Kauf versus Gründung
L will einen Limousinen-Service kaufen oder gründen. Hierzu hat er 3 Varianten:
- Kauf eines anderen Limousinen-Service mit 300 TEUR Umsatz für 190 TEUR (100 für Geschäftsausstattung (Limousinen) + 90 für Goodwill); Umsätze 01 bis 03: 275, 325, 350 TEUR);
- Neugründung mit dem Erwerb neuer Fahrzeuge für 200 TEUR (Umsätze 01 bis 03: 150, 300, 350 TEUR);
- Gründung mit gebrauchter Geschäftsausstattung für 100 TEUR (mit identischen Umsätzen zur vorherigen Variante).
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01 |
02 |
03 |
04 |
05 |
06 |
Summe |
Kauf für 100 + 90 |
– 190 |
|
|
|
|
|
– 190 |
Einnahmen |
275 |
325 |
350 |
350 |
350 |
350 |
2.000 |
Material (40 %) |
– 110 |
– 130 |
– 140 |
– 140 |
– 140 |
– 140 |
– 800 |
Diverse fixe Ausgaben |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 600 |
Reparatur, Ersatzinvestition |
– 20 |
– 20 |
– 20 |
– 20 |
– 20 |
– 20 |
– 120 |
Überschuss |
– 145 |
75 |
90 |
90 |
90 |
90 |
290 |
|
Gründung neu für 200 |
– 200 |
|
|
|
|
|
– 200 |
Einnahmen |
150 |
300 |
350 |
350 |
350 |
350 |
1.850 |
Material (40 %) |
– 60 |
– 120 |
– 140 |
– 140 |
– 140 |
– 140 |
– 740 |
Diverse fixe Ausgaben |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 600 |
Reparatur, Ersatzinvestition |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
– 20 |
– 20 |
Überschuss |
– 210 |
80 |
110 |
110 |
110 |
90 |
290 |
|
Gründung alt für 100 |
– 100 |
|
|
|
|
|
– 100 |
Einnahmen |
150 |
300 |
350 |
350 |
350 |
350 |
1850 |
Material (40 %) |
– 60 |
– 120 |
– 140 |
– 140 |
– 140 |
– 140 |
– 740 |
Diverse fixe Ausgaben |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 100 |
– 600 |
Reparatur, Ersatzinvestition |
– 20 |
– 20 |
– 20 |
– 20 |
– 20 |
– 20 |
– 120 |
Überschuss |
– 130 |
60 |
90 |
90 |
90 |
90 |
290 |
4.3 Beurteilung
4.3.1 Subjektivität bei der Goodwill-Komponente
Im Unterschied zu Zukunftserfolgswertverfahren leben substanzwertorientierte Verfahren auf Basis des Teilrekonstruktionswerts nicht von Prognosen. Bewertet wird nicht ein ungewisser Ertrag der Zukunft, sondern die in der Gegenwart vorhandene Substanz. Aus diesem Unterschied wurde traditionell die größere Objektivität des Substanzwerts abgeleitet.
Tatsächlich...