Hans Joachim Grabow, Heinrich Judt
4.1 Ein Erfahrungsbericht aus der Bauindustrie
Meine Erfahrung als CFO bei Kaimann hat mir gezeigt, dass die Herausforderungen für einen wirksamen Einsatz des KEPs-Instruments als Forecast-Modell in der Quantifizierung der Bandbreiten und Analyse der direkten und indirekten Einflussgrößen liegen.
Bei Kaimann haben wir die hohe Volatilität der Rohstoffpreise als größten Werttreiber des Geschäfts identifiziert, aber gleichzeitig deren Prognostizierbarkeit als "nicht vorhersehbar" bewertet. Unsere Forecast-Rechnungen beruhten auf Erkenntnissen von Plan-Ist-Vergleichen der Rohstoffpreisentwicklung der letzten Wochen und Monate und verhinderten daher eine echte "ex ante" Steuerung. Nachvollziehbarerweise waren wir damit nicht glücklich. Von dieser Annahme der Nicht-Prognostizierbarkeit haben wir uns im Zuge der KEPs-Einführung gelöst und die Preisentwicklung der wichtigsten Rohstoffe als Werttreibergröße tiefer analysiert.
Der erste Schritt unserer Analyse umfasste die gezielte Suche nach sogenannten Triggern für die Preisentwicklung bestimmter Rohstoffe. "Polymer Part" (synthetisierter Kautschuk) war der bei Kaimann eingesetzte Rohstoff, dessen Preisentwicklung durch Butadien und Ethylen beeinflusst wird. Hierzu untersuchten und verglichen wir die Preisentwicklung von Butadien und Ethylen sowie des synthetisierten Kautschuks und entdeckten analoge Preisentwicklungen mit einem gewissen "time-lag".
Das Verfahren haben wir dann im weiteren Verlauf auf sämtliche zentrale Rohstoffe angewendet und bildeten den "granulate index" (GI). Basierend auf dem GI entwickelten wir einen Algorithmus, dessen Aussagefähigkeit wir anhand von Vergangenheitswerten testeten. Diesen nutzten wir zur Quantifizierung der KEPs und deren Bandbreiten. Ab diesem Zeitpunkt befüllten wir den GI mit aktuellen Rohstoffpreisen, um so – und nur so – ein valides Forecast-Modell zu erhalten. Parallel dazu benutzten wir das Modell auch für die Argumentation gegenüber unseren Kunden bei Verkaufspreissteigerungen und konnten so die Rohertragsentwicklungen valide vorsteuern.
4.2 Ein Erfahrungsbericht aus der Lebensmittelindustrie
Wechseln wir nun zur Anwendung der KEPs-Methodik in die MChef-Welt. Im Kern unseres Geschäftsmodells steht der Abverkauf von frischen Lebensmitteln mit einer sehr kurzen Mindesthaltbarkeit in 4 Kundensegmenten – Transport, Hotellerie, Sport & Events und Privathaushalte. Werttreibend bei MChef ist die Koordination und Vorsteuerung der Nachfrageentwicklung mit der Verfügbarkeit von Waren zu einem bestimmten Einkaufspreis.
Die Reaktionen der Nachfrageentwicklung durch die Corona-bedingten Verwerfungen, aber auch durch die Auswirkungen und Unsicherheiten des Ukraine-Kriegs waren höchst unterschiedlich. Zudem mussten wir erhebliche Schwankungen der Einkaufspreise und der Warenverfügbarkeit auf der Angebotsseite zur Vorsteuerung und zum Forecasting der Geschäftserwartungen berücksichtigen.
Den Rohstoffpreissteigerungen z. B. für norwegischen Lachs folgten zuletzt komplette Lieferausfälle der Vorlieferanten. Hier kommt der KEPs-Steuerung durch die quantitative Modellierung und Simulation der Entwicklungen sowohl auf der Angebots- als auch Nachfrageseite eine entscheidende Bedeutung zu. Die in Zahlen sichtbar werdenden Szenarien erleichterten unsere Entscheidungsfindung bei der Auswahl und Priorisierung geeigneter Maßnahmen zur Gegensteuerung.
Zum einen investierten wir im erheblichen Umfang in erweiterte Kühl- und Tiefkühllager, um die in Erwartung steigender Rohstoffpreise eingekauften Mengen einlagern zu können. Zum anderen reagierten wir mit dem Abschluss verkürzter Preisbindungen gegenüber der Kundenseite sowie kurzfristigen Sortimentsanpassungen bei komplett wegfallender Verfügbarkeit bestimmter Einkaufsartikel. Durch diese Art der Vorsteuerung und Modellierung konnten wir zwar Einbrüche auf unsere Umsatz- und Ertragsentwicklung nicht verhindern, aber erheblich minimieren.
Mit diesem Praxisbericht aus den "zwei Welten" möchte ich zusammenfassend feststellen, dass kritische Ereignisse zu leicht als Folge willkürlicher Volatilitäten und damit fälschlicherweise weder als Vorsteuer- noch Forecast-fähig abgetan werden. Volatilität und Komplexität darf also kein universelles Argument sein, die Entwicklung zu schnell als gegeben zu akzeptieren – eine typische, gefährliche implizite Annahme der Unternehmenssteuerung.
Daher ist es auch fatal, rollierende Forecasts als simple Fortschreibung aktueller Daten für die Zukunft aufzustellen. Diese sollten auf KEPs basieren, deren direkte und indirekte Einflussgrößen hinreichend bekannt und bewertbar sind. Durch die KEPs-Steuerung ergeben sich für das Management die notwendigen Zeiträume, welche proaktives Handeln überhaupt erst (noch) ermöglichen.
Vorsteuerung in regelmäßigen Intervallen
Zuletzt erlaube ich mir noch de...