Die Bewertung der Vorräte erfolgt nach IAS 2.9 zu Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten oder dem niedrigeren realisierbaren Wert. Hinsichtlich des Umfangs der Anschaffungskosten schreibt IAS 2.10 die Berücksichtigung von Anschaffungsnebenkosten und den Abzug von Skonti, Rabatten usw. vor. Insoweit ergeben sich keine Unterschiede zum handelsrechtlichen Anschaffungskostenbegriff und der Regelung des § 255 Abs. 1 HGB.
Die eigentlichen Probleme der Vorratsbewertung liegen jedoch nicht in der einfach strukturierten Ermittlung der Anschaffungskosten von Rohstoffen oder Waren, sondern in der komplexeren Ermittlung der Herstellungskosten von Erzeugnissen. Bei der Bewertung von selbst erstellten Vorräten muss sich jedes interne oder externe Rechnungslegungssystem drei Fragen stellen:
- ob neben direkt zurechenbaren Einzelkosten auch Gemeinkosten berücksichtigt werden sollen (oder dürfen) und falls dies bejaht wird,
- ob dabei auch produktionsferne Gemeinkosten, z. B. für die allgemeine Verwaltung, einzubeziehen sind und
- auf welcher Basis, insbesondere nach welcher Kapazitätsauslastung die Zurechnung von Gemeinkosten erfolgen soll.
Die Antworten auf diese Fragen können in verschiedenen Kostenrechnungssystemen ebenso unterschiedlich ausfallen wie in verschiedenen Bilanzierungssystemen:
- Hinsichtlich der Grundsatzfrage, ob Gemeinkosten überhaupt zu berücksichtigen sind, entscheiden sich das HGB und IAS 2.12 für einen Vollkostenansatz unter Einbeziehung der Material- und Fertigungsgemeinkosten.
- Dabei dürfen nach HGB auch allgemeine Verwaltungskosten und soziale Kosten in die Vollkosten einbezogen werden, während IAS 2.16(c) einen Produktionsbezug der Kosten verlangt.
- Hinsichtlich des konkreten Umfangs der Gemeinkosten schreibt § 255 Abs. 2 HGB die Begrenzung auf angemessene Teile der notwendigen Material- und Fertigungsgemeinkosten und der durch die Fertigung veranlassten Abschreibungen vor. IAS 2.13 ist etwas konkreter und sieht vor, dass fixe Gemeinkosten im Fall der Unterbeschäftigung auf der Grundlage der Normalkapazität zugerechnet werden. Der auf die einzelne Produktionseinheit entfallende Betrag erhöht sich bei einem geringeren Produktionsvolumen also nicht. Leerkosten sind insoweit von der Aktivierung ausgeschlossen.
In der Bilanzierungspraxis spielen die zwei genannten Unterschiede eine geringere Rolle als in der Theorie. Hinsichtlich der nach IFRS gebotenen Differenzierung zwischen solchen Verwaltungs- und Sozialkosten, die sich auf die Produktion beziehen, und solchen ohne Produktionsbezug fällt es auf Anhieb nicht leicht, materiell relevante Beispiele zu finden. Zu denken wäre etwa an die Führung der Lohnbuchhaltung für die Produktionskräfte einerseits (Einbeziehungspflicht) und die Führung der Gehaltsbuchhaltung für die sonstigen Arbeitnehmer andererseits (Einbeziehungsverbot). In vielen IFRS-Abschlüssen finden sich derartige Differenzierungen jedoch nicht. Entweder werden die allgemeinen Verwaltungskosten insgesamt als Aufwand verrechnet oder es wird ein nicht näher erläuterter pauschaler Teil in die Herstellungskosten einbezogen. Sowohl die eine als auch die andere Verfahrensweise sind auch nach HGB zulässig.
Auch hinsichtlich der Gemeinkostenzurechnung ergeben sich regelmäßig keine Unterschiede in der Praxis. In der Bilanzierungstheorie und -praxis werden die handelsgesetzlichen Regelungen zur Notwendigkeit und Angemessenheit im Allgemeinen so interpretiert, dass bei der Umlage der Gemeinkosten von normalen Beschäftigungsverhältnissen auszugehen ist. Werden diese Normalbeschäftigungsverhältnisse nicht punktuell, sondern als Intervall verstanden, so kann stattdessen auch die tatsächliche Kapazitätsauslastung zugrunde gelegt werden, solange sie sich in diesem Intervall befindet. Diese Vorgehensweise entspricht auch dem Hinweis in IAS 2.13, wonach das tatsächliche Produktionsniveau zugrunde gelegt werden kann, wenn es der Normalkapazität nahe kommt.
Tipp
Eine Herstellungskostenbewertung, die den deutschen steuerlichen Anforderungen entspricht, genügt meist auch den IFRS. Dies kann bis ins Detail genutzt werden, um Bewertungsunterschiede zwischen IFRS- und Steuerbilanz zu vermeiden. Ansonsten würden sich Steuerlatenzen ergeben, die gerade bei Vorräten nur mit viel Aufwand nachzuhalten sind.
Zum Ganzen das folgende Beispiel:
Beispiel
Die U GmbH fertigt Polstermöbel. Die Kapazitätsauslastung des Geschäftsjahres beträgt 100 %, im langjährigen Mittel nur 80 %. Die unterschiedlichen Varianten der Polstermöbel werden über Äquivalenzziffern in Normaleinheiten umgerechnet. Im Geschäftsjahr werden 10.000 Normaleinheiten produziert. Folgende Aufwendungen sind angefallen (in EUR):
Einzelkosten (Material) |
5 Mio. |
Variable Fertigungsgemeinkosten (Fertigungslöhne, Energie etc.) |
10 Mio. |
Fixe Fertigungsgemeinkosten (Abschreibung Produktionsanlagen) |
5 Mio. |
Gemeinkosten Materialeingang |
1 Mio. |
Gemeinkosten Verwaltung (Vorstand, Buchhaltung etc.) |
2 Mio. |
Kosten Warenausgang (Transporte, Ausgangslager etc.) |
1 Mio. |
Kosten Werbung |
1 Mio. |
Gesamtkos... |