Prof. Dr. Harald Kessler, Dr. Carola Rinker
Steuerliche Besonderheiten ergeben sich auch bei der verlustfreien Bewertung. Zur Ableitung des Teilwerts ist das in Tab. 2 dargestellte Schema wie folgt zu modifizieren:
- Steuerlich nicht als Abzugsposten anerkannt sind künftige Zinskosten bzw. ein aus der Kapitalbindung resultierender Zinsverlust. Diese Aufwendungen (Mindereinnahmen) gehören nach Ansicht des BFH zu den allgemeinen Betriebs(un)kosten.
- Zusätzlich vom geschätzten Veräußerungserlös abzuziehen ist ein durchschnittlicher Unternehmergewinn. Das gilt allerdings nur für solche Güter, die der Kaufmann üblicherweise mit Gewinn verkauft.
Aufgrund des letzten Punkts kann der retrograd ermittelte Teilwert von Vorratsgütern unter dem handelsrechtlichen beizulegenden Wert liegen.
Unklar ist, ob künftige Lagerkosten den retrograd ermittelten steuerlichen Teilwert von Vorratsgütern reduzieren. Die Rechtsprechung ist in diesem Punkt nicht einheitlich. Während der I. Senat des BFH eine Berücksichtigung dieser Aufwendungen jedenfalls insoweit ablehnt, als sie den einzelnen Vorratsgütern nur "im Wege einer statistischen Aufschlüsselung zugerechnet werden" können, hat der IV. Senat künftige Lagerkosten als Teil der vom Veräußerungserlös abzuziehenden Kosten beurteilt.
Verkaufswertverfahren
Umgehung der Rechtsunsicherheit
Die geschilderte Rechtsunsicherheit lässt sich durch die Anwendung des von der Rechtsprechung gebilligten Verkaufswertverfahrens umgehen.
Das Verkaufswertverfahren sieht für den Fall einer Herabsetzung der Verkaufspreise von Vorratsgütern vor, den Teilwert durch Abzug des durchschnittlichen Rohgewinnaufschlags vom geschätzten Veräußerungserlös zu bestimmen. Der Rohgewinnaufschlag umfasst den bis zum Verkauf noch anfallenden betrieblichen Aufwand sowie den durchschnittlichen Unternehmergewinn. Er kann dem Jahresabschluss entnommen werden. Hierzu ist die Differenz zwischen Erlösen und dem betrieblichen Aufwand ins Verhältnis zum Wareneinsatz zu setzen. Bei dieser Verfahrensweise enthält der Abschlagssatz auch die durchschnittlich bis zum Verkauf anfallenden Lagerkosten. Darüber hinaus umfasst er für die Vorratsgüter bereits angefallene und als Betriebsausgaben verrechnete Aufwendungen. Auf ihre Aussonderung kann verzichtet werden, wenn sie nicht ins Gewicht fallen.
Nach dieser vereinfachten Form der retrograden Teilwertermittlung hängen die Zulässigkeit und Höhe einer Abschreibung vom Verhältnis zwischen dem durchschnittlichen Rohgewinnaufschlag laut Jahresabschluss und dem im Einzelfall tatsächlich kalkulierten Aufschlag ab. Übersteigt der durchschnittliche Rohgewinnaufschlag den kalkulierten um X EUR, führt jede Herabsetzung der Verkaufspreise um Z EUR zu einem berücksichtigungsfähigen Verlust i. H. v. X + Z EUR. Im umgekehrten Fall (kalkulierter Rohgewinnaufschlag > durchschnittlicher Rohgewinnaufschlag) kommt eine Teilwertabschreibung nur in Betracht, soweit die Differenz zwischen tatsächlichem und (niedrigerem) durchschnittlichem Rohgewinnaufschlag hinter dem Betrag der Preissenkung zurückbleibt.
Eine allgemeine Formel zur Ermittlung des Teilwerts aus (herabgesetztem) Verkaufspreis und durchschnittlicher Rohgewinnspanne enthält R 6.8 Abs. 2 Satz 5, 6 EStR ("Formelmethode"). Danach gilt:
|
TW = |
VPr |
|
(1 + ReGA + RoGAv • Z) |
|
mit |
TW |
= |
Gesuchter Teilwert |
|
VPr |
= |
Erzielbarer (herabgesetzter) Verkaufspreis [EUR] |
|
ReGA |
= |
Durchschnittlicher Reingewinnaufschlag [%] |
|
RoGAv |
= |
Verbleibender Rohgewinnaufschlag nach Abzug des Reingewinnaufschlags [%] |
|
Z |
= |
Anteil der im RGA enthaltenen Kosten, die nach dem Bilanzstichtag anfallen [%] |
Die Formel dürfte im Regelfall einen zu hohen Teilwert ermitteln, da sie bei einer Herabsetzung des Verkaufserlöses eine parallele Reduktion des mit dem Rohgewinnaufschlag erfassten betrieblichen Aufwands unterstellt.
Retrograde Teilwertermittlung von Waren
Ein Einzelhandelsunternehmen kalkuliert die Waren A und B wie folgt (vgl. Tab. 5, Beträge in EUR). Aus Vereinfachungsgründen sei angenommen, sämtliche im Rohgewinnaufschlag enthaltenen Kosten fallen nach dem Bilanzstichtag an, d. h. Z = 1:
Ware |
AK |
RoGAv |
ReGA |
RoGAg = RoGAv + ReGA |
VPk |
VPr |
[1] |
[2] |
absolut [3] |
% von [2] |
absolut [4] |
% von [2] + [3] |
Absolut [3] + [4] |
% von [2] |
|
|
A |
100 |
40 |
40 |
14 |
10 |
54 |
54 |
154 |
133 |
B |
400 |
60 |
15 |
46 |
10 |
106 |
26,5 |
506 |
420 |
Mit |
AK |
= |
Anschaffungskosten [EUR] |
|
TW |
= |
Gesuchter Teilwert [EUR] |
|
RoGAv |
= |
Rohgewinnaufschlag nach Abzug des Reingewinnaufschlags [%] |
|
ReGA |
= |
Durchschnittlicher Reingewinnaufschlag [%] |
|
RoGAg |
= |
Zu berücksichtigender Rohgewinnaufschlag (einschließlich Reingewinnaufschlag) [%] |
|
VPk |
= |
Ursprünglich kalkulierter Verkaufspreis [EUR] |
|
VPr |
= |
Erzielbarer (herabgesetzter) Verkaufspreis [EUR] |
Tab. 5: Ausgangsdaten des Beispiels zur retrograden Teilwertermittlung von Waren
Der durchschnittliche Rohgewinnaufschlag einschließlich Reingewinnanteil (RoGAg) beträgt laut Jahresabschluss 40 %. Der übliche Reingewinnaufschlag (ReGA) beläuft sich bei allen Produkten auf 10 % der um die betrieblichen Aufwendungen...