Prof. Dr. Stefan Müller, Prof. Dr. Markus Häfele
2.2.1.1 Der Grundsatz der geschäftsvorfallbezogenen Umrechnung
Rz. 16
Aus dem in § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB kodifizierten Grundsatz der Einzelbewertung folgt unmittelbar der Grundsatz der geschäftsvorfallbezogenen Umrechnung. Danach ist jeder Vermögensgegenstand und jeder Schuldposten sowohl im Zeitpunkt, in dem der betreffende Geschäftvorfall stattgefunden hat, als auch zum Zwecke der bilanziellen Bewertung zum Bilanzstichtag prinzipiell einzeln umzurechnen, wobei die die Umrechnung bestimmenden Überlegungen für jeden einzelnen Gegenstand getrennt und individuell anzustellen sind. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz in zweierlei Hinsicht Durchbrechungen erfährt: Zum einen aufgrund von gesetzlichen Vorschriften, sachlichen Erfordernissen oder Vereinfachungserfordernissen (Wirtschaftlichkeit/"materiality"). Dies trifft z. B. zu für die Fest- und Gruppenbewertung (§ 240 Abs. 3, 4 HGB i. V. m. § 256 Satz 2 HGB), für die Verbrauchsfolgeverfahren (§ 256 Satz 1 HGB) und für Pauschalwertberichtigungen auf Forderungen.
Rz. 17
Zum anderen bildet die sog. Bewertungseinheit nach § 254 HGB in diesem Zusammenhang eine weitere Ausnahme (Währungsumrechnung im Falle "geschlossener Währungspositionen"): Werden Vermögensgegenstände, Schulden, schwebende Geschäfte oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartete Transaktionen zum Ausgleich gegenläufiger Wertänderungen oder Zahlungsströme aus dem Eintritt vergleichbarer Risiken mit Finanzinstrumenten zusammengefasst (Bewertungseinheit), so sind gemäß § 254 HGB die §§ 249 Abs. 1, 252 Abs. 1 Nr. 3 und 4, 253 Abs. 1 Satz 1 und 256a HGB in dem Umfang und für den Zeitraum nicht anzuwenden, in dem die gegenläufigen Wertänderungen oder Zahlungsströme sich ausgleichen (Rz. 126 ff.).
2.2.1.2 Der Grundsatz zeitpunktgerechter Umrechnung
Rz. 18
Dieser Grundsatz fordert, dass zunächst die Verhältnisse des Tages der rechtlichen Erstverbuchung eines Geschäftsvorfalles und, soweit Gegenstände in der Bilanz auszuweisen sind, des Bilanzstichtages für die Währungsumrechnung maßgebend sind.
Rz. 19
Bei der Bestimmung des für die Umrechnung rechtlich maßgeblichen Tages der Erstverbuchung ist auf den Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht (unmittelbarer oder mittelbarer Besitz) abzustellen. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH der Zeitpunkt der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums, also der Zeitpunkt, ab dem der Erwerber vereinbarungsgemäß wirtschaftlich über das Wirtschaftsgut verfügen kann. Das ist in der Regel der Fall, wenn Eigenbesitz, Gefahr, Lasten und Nutzen auf den Erwerber übergehen:
"Denn maßgebend für eine Zurechnung aufgrund wirtschaftlichen Eigentums ist vor allem, dass Substanz und Ertrag (...) wirtschaftlich dem Nutzungsberechtigten zustehen. Solange Nutzen, Lasten und die Gefahr des zufälligen Untergangs noch nicht auf den Erwerber übergegangen sind, sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt."
Rz. 20
Von besonderer Bedeutung für die Währungsumrechnung sind jene Fälle, in denen der Gefahrenübergang, insbesondere der Übergang der Preisgefahr, und der Zeitpunkt, in dem der Erwerber die tatsächliche Sachherrschaft erlangt, auseinander fallen und zwischenzeitlich Änderungen der Währungsparitäten aufgetreten sind. Dies kann durch einzelvertragliche Regelungen oder durch Vereinbarung bestimmter Incoterms erfolgen. International Commercial Terms (Incoterms) sind internationale Handelsklauseln, die die Art und Weise der Lieferung, die Transportkostentragung und den Gefahrenübergang (Übergang der Preisgefahr) regeln. Beispiele sind EXW (ex works): ab Werk; FOB (free on board): ab tatsächlichem Überschreiten der Reling Seeschiff im Verschiffungshafen oder DEQ (delivered ex Quay Duty Paid): ab Zurverfügungstellung am Kai Bestimmungshafen, verzollt.
Ebenfalls ist dies im internationalen Seeverkehr denkbar. Hier wird, unabhängig vom vereinbarten Zeitpunkt des Gefahrenübergangs, regelmäßig zwischen dem Verfrachter (Reeder) und dem Befrachter (Lieferant oder beauftragter Ablader) ein Seeladeschein (Konnossement) als Nachweis über den abgeschlossenen Seefrachtvertrag und den Empfang des Transportgutes durch die Reederei abgeschlossen, der als Traditionspapier (§§ 520 ff. HGB) die Wirkung hat, dass für den Erwerb von Rechten an dem Gut seine Übergabe an den dort als legitimiert ausgewiesenen Empfänger des Transportgutes der Übergabe des Gutes selbst gleichsteht. Nach § 520 Abs. 1 HGB steht nach Ausstellung eines Konnossements das Verfügungsrecht über das Gut nach den §§ 491, 492 HGB ausschließlich dem legitimierten Besitzer des Konnossements zu.
Da mithin der Konossementsinhaber die entscheidende Dispositionsbefugnis über das Transportgut hat, hängt die Währungsumrechnung weder von den Kursverhältnissen im Zeitpunkt des vereinbarten Gefahrenübergangs noch von jenen der tatsächlichen Übergabe des Transportgutes, sondern vom Zeitpunkt ab, in dem der Empfänger im Besitz der Konossemente ist. Erst in diesem Zeitpunkt ist das Wirtschaftsgut dem Vermögen des Kaufmanns zuzurechnen.
Allerdings ist davon auszugehen, dass angesichts der digitalen Übertragbarkeit der Dokumente Zeitdiffere...