Entscheidungsstichwort (Thema)
Inhaltskontrolle bei Gesellschaftsverträgen, Wirksamkeit von Gesellschaftsbeschlüssen trotz Verfahrensmangels. Kausalität eines Verfahrensmangels für Abstimmungsergebnis
Leitsatz (amtlich)
1. In einer Publikumsgesellschaft ist eine gesellschaftsvertragliche Bestimmung unwirksam, die den Gründergesellschaftern eine Sperrminorität sichert, wenn der von ihnen bestellte Geschäftsführer ersetzt und der den Geschäftsführer kontrollierende Aufsichtsrat gewählt werden soll (Inhaltskontrolle nach BGB § 242).
2. In einer Publikumsgesellschaft sind Beschlüsse der Gesellschafterversammlung ungeachtet dessen, daß ein Gesellschafter versehentlich nicht eingeladen worden ist, wirksam, wenn sicher feststeht, daß sie nicht auf dem Mangel beruhen.
Orientierungssatz
Die Kausalität eines Verfahrensmangels für das Abstimmungsergebnis in der Gesellschafterversammlung läßt sich nicht schon damit begründen, daß ein versehentlich nicht eingeladener Gesellschafter mit seinem Stimmrecht ein bestimmtes Abstimmungsergebnis nicht hätte verhindern können; es muß zusätzlich sicher auszuschließen sein, daß der nicht eingeladene Gesellschafter, wäre er erschienen, in einer der Abstimmung vorausgehenden Aussprache die Stimmabgabe der übrigen Gesellschafter so hätte beeinflussen können, daß die erforderliche Mehrheit nicht erreicht worden wäre (Festhaltung BGH, 1972-11-09, II ZR 63/71, BGHZ 59).
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Oktober 1982 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger entwarf 1976/77 als Rechtsanwalt anläßlich der Gründung mehrerer Gesellschaften im Auftrage der Beklagten zu 1 mehrere Verträge. Am 1. Juni 1978, zurückdatiert auf den 31. Dezember 1977, stellte er als Entgelt für diese Tätigkeit der Beklagten zu 1 81.126,86 DM und der Beklagten zu 2, die insoweit die Schuld übernommen haben soll, 26.037,40 DM in Rechnung. Bis auf 60.000 DM, die die Beklagte zu 1 gezahlt hat, macht der Kläger die Beträge mit der Klage geltend.
Die Beklagten haben die Höhe der Vergütung, die Beklagte zu 2 hat darüber hinaus ihre Passivlegitimation bestritten. Ferner haben die Beklagten hilfsweise mit Gegenforderungen aufgerechnet, die ihnen die H. eine Publikumsgesellschaft bürgerlichen Rechts, durch ihren Verwalter Dr. V. in Höhe von 22.441,42 DM (Beklagte zu 1) und 27.657,50 DM (Beklagte zu 2) abgetreten habe. Dabei geht es um Ansprüche der H. gegen den Kläger, der bis zum 15. November 1979 deren Verwalter war, auf Rückzahlung eines unberechtigt entnommenen Verwalterhonorars (28.250 DM) sowie um den Ersatz von Prozeßkosten, die der H. in Folge pflichtwidriger Geschäftsführung des Klägers in Höhe von 76.348,20 DM und 8.957,83 DM entstanden sein sollen. Der Kläger hält die Abtretung für unwirksam, weil Dr. V. in der Gesellschafterversammlung vom 3. Juli 1980 nicht wirksam zum Verwalter der H. bestellt worden sei; die Abstimmung habe nicht die dafür erforderliche Mehrheit ergeben und die G., eine Gesellschafterin der H., sei zu der Versammlung nicht eingeladen worden.
Der die Gesellschafterbeschlüsse regelnde § 8 des Gesellschaftsvertrages der H. hat folgenden Wortlaut:
1. Gesellschafterversammlungen werden von dem Verwalter einberufen, wenn ein wichtiger Grund besteht oder mindestens 25 % der Gesellschafter dies schriftlich fordern.
Die Einberufung hat schriftlich mit einer Frist von mindestens 14 Tagen unter Angabe von Tagungsort, Tagungszeit und Tagungsordnung zu erfolgen. …
2. Die Gesellschafterversammlung beschließt über Änderungen des Gesellschaftsvertrages, Veräußerung des Gesellschaftsvermögens im ganzen, Auflösung der Gesellschaft, Ausschüttungen an die Gesellschafter aus Gewinnen, Abberufung und Neubestellung des Verwalters sowie Berufung des Aufsichtsrates.
3. Je 10.000 DM Pflicht-Kapitalanteile ergeben eine Stimme. Der Verwalter hat kein Stimmrecht.
Eine ordnungsgemäß einberufene Gesellschafterversammlung ist ohne Rücksicht auf das vertretene Kapital in jedem Falle beschlußfähig. Die Gesellschafter …
4. …
5. Die nach Absatz 2 zulässigen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden bis zum 31.12.1983 mit einer Mehrheit von 90 % des Pflicht-Kapitals der Gesellschaft gefaßt. Nach dem 31.12.1983 genügt eine Mehrheit von 75 % des Pflicht-Kapitals. …
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zu 1 verurteilt, dem Kläger 115,02 DM zu zahlen. Die Beklagte zu 2 ist zu 21.990,68 DM unter dem Vorbehalt verurteilt worden, daß über die Aufrechnung mit dem Anspruch auf Ersatz der Prozeßkosten noch entschieden wird. Da die Berufung des Klägers im übrigen erfolglos war, verfolgt er mit der Revision insoweit seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Das Berufungsgericht bejaht ohne Rechtsfehler, daß Honorarforderungen gegen beide Beklagten in der vom Kläger geltend gemachten Höhe entstanden sind. Diese Rechtsansicht wird von der Revision – weil ihr günstig – nicht angegriffen. Die Revision wendet sich vielmehr dagegen, daß das Berufungsgericht die Abtretung von seiten der H. mit der Folge für wirksam hält, daß durch Aufrechnung die Honorarforderungen mindestens in Höhe von 28.250 DM, möglicherweise noch darüber hinaus erloschen sind. Sie vertritt den Standpunkt, Dr. V. habe am 6. August 1980 den Beklagten keine Forderungen der H. abtreten können, weil er am 3. Juli 1980 nicht wirksam zu deren Verwalter bestellt worden sei. Hiermit hat sie Erfolg. Das angefochtene Urteil läßt sich mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht halten.
1. Der Senat hat im Urteil vom 23. März 1982 – II ZR 74/81 (WM 1982, 583 = ZIP 1982, 692) § 8 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages der H. insoweit für unwirksam gehalten, als jener für die Abberufung des Verwalters eine qualifizierte Mehrheit fordert. Mit Recht hält das Berufungsgericht ein Mehrheitserfordernis von 90 % des Pflicht-Kapitals auch dann für unzulässig, wenn es darum geht, einen neuen Verwalter zu bestellen.
Die H. ist eine Publikumsgesellschaft. Ihr Gesellschaftsvertrag ist von zwei Gesellschaftern geschlossen worden und auf den Beitritt einer unbestimmten Vielzahl weiterer Gesellschafter angelegt. Er unterliegt deshalb der gerichtlichen Inhaltskontrolle nach § 242 BGB (BGHZ 64, 238, 241; 84, 11, 14).
Die Gründergesellschafter, die am vorgesehenen und von künftigen Gesellschaftern noch zu zeichnenden Pflicht- Kapital der Gesellschaft von 1,5 Mio DM mit zusammen 200.000 DM beteiligt waren, haben sich im § 8 Abs. 5 der Satzung für die Dauer von mehr als sechs Jahren eine Sperrminorität gesichert, die ausschließt, daß gegen ihren Willen der von ihnen bestellte Verwalter abberufen und durch eine andere Person ersetzt werden kann. Die Anlagegesellschafter sind von allen wichtigen unternehmerischen Entscheidungen ausgeschlossen und können auch ihre Informations- und Kontrollrechte nach § 716 BGB außerhalb der Gesellschafterversammlung nur durch einen Aufsichtsrat ausüben, auf dessen Zusammensetzung sie wegen der Sperrminorität der Gründergesellschafter ebenfalls keinen entscheidenden Einfluß haben. Die Gründergesellschafter haben auf diese Weise durch vorweggenommene Regelung ihrem Verwalter eine von seiten der künftigen Anteilserwerber unangreifbare Stellung gesichert, die im Interesse einer Vertragsgerechtigkeit nicht bestehen bleiben kann. Da die Gesellschaft einen Fremdgeschäftsführer hat, ist die Beteiligung auch für die Gründer eher ein finanzielles Engagement und nicht zugleich Beruf und Existenzgrundlage. Ihre Stellung ist deshalb mit der der späteren Anlagegesellschafter vergleichbar und ihr Interesse, die Geschäftsführung und den diese kontrollierenden Aufsichtsrat mit Personen ihres Vertrauens zu besetzen, nicht schutzwürdiger als das ihrer Mitgesellschafter. Da diese durch die qualifizierte Mehrheit von 90 % des Pflicht-Kapitals daran gehindert sind, gegen den Willen der Gründer die Organe der Gesellschaft mit Personen zu besetzen, denen auch sie vertrauen, ist die Satzung insoweit unwirksam. Das gilt nicht nur, wenn der Geschäftsführer abzuberufen, sondern auch dann, wenn er neu zu bestellen ist. Denn die Notwendigkeit, sich mit 90 % auf einen neuen Verwalter zu einigen, kann, wenn ein derart weitgehender Konsens nicht zu erwarten und deshalb die Führungslosigkeit der Gesellschaft zu befürchten ist, auch die Abberufung des alten Verwalters selbst dann erschweren, wenn dazu die einfache Mehrheit ausreicht. Ob der neue Verwalter mit einfacher Mehrheit zu bestellen ist oder ob die nach dem 31. Dezember 1983 geltende Regelung, wonach die Beschlüsse mit einer Mehrheit von 75 % des Pflicht-Kapitals zu fassen sind, Bestand hat und schon für den Zeitraum davor gilt, braucht nicht entschieden zu werden. Denn die Mehrheit von 75 % ist erreicht worden. Für den Antrag lagen 58 von 66 Stimmen vor.
2. Im übrigen war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die nach dem Wortlaut der Satzung erforderliche qualifizierte Mehrheit von 90 % des Pflicht-Kapitals bei der Abstimmung ebenfalls gegeben. Das Berufungsgericht hat die Mehrheit errechnet, indem es die Stimmanteile (580.000 DM) auf das Gesamtkapital der Gesellschaft (660.000 DM) bezogen und dabei nur auf den Absatz 5 des § 8 des Gesellschaftsvertrages abgestellt hat, anstatt jenen im Zusammenhang mit Absatz 3 zu lesen, wo es heißt, daß eine ordnungsgemäß einberufene Gesellschafterversammlung ohne Rücksicht auf das vertretene Kapital in jedem Falle beschlußfähig ist. Danach beschließt die Versammlung über die im Absatz 2 genannten Gegenstände auch dann, wenn in ihr weniger als 90 % des Kapitals vertreten sind. Der Absatz 5 kann folglich nur so verstanden werden, daß die im Absatz 2 genannten Beschlüsse mit einer Mehrheit von 90 % nur des in der Gesellschafterversammlung vertretenen und dort abstimmenden, nicht aber des gesamten Pflicht-Kapitals zu fassen sind. Dieser objektive Erklärungsbefund ist, da es sich um den Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft handelt, allein maßgebend (vgl. Sen. Urt. v. 30.4.1979 – II ZR 57/78, LM HGB § 105 Nr. 45), so daß es nicht darauf ankommt, ob die Verfasser des Gesellschaftsvertrages etwas anderes gewollt haben. Von dem Gesamtkapital (660.000 DM) waren am 3. Juli 1980 in der Gesellschafterversammlung 580.000 DM vertreten. Alle, mithin 100 %, haben Dr. V. zum Verwalter bestellt.
3. Allerdings ist beschlußfähig nach § 8 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages nur die ordnungsgemäß einberufene Versammlung, was voraussetzt, daß nach § 8 Abs. 1 des Vertrages sämtliche Gesellschafter zu ihr eingeladen worden sind. Diese Voraussetzung fehlt; an die mit 30.000 DM beteiligte G. ist keine Einladung abgesandt worden. Der Verstoß führt, da Gesellschafter nur im Rahmen von Gesetz und Satzung an Mehrheitsentscheidungen gebunden sind, grundsätzlich zur Nichtigkeit des Beschlusses.
Dieser Grundsatz gilt aber nicht ausnahmslos. Der Senat hat schon für das Vereinsrecht ausgeführt, daß die Willensbildung und -betätigung innerhalb des Vereins, aber auch dessen Rechtsbeziehungen nach außen mit unerträglichen Unsicherheiten belastet würden, wenn jedes Vereinsmitglied, ja sogar jeder Fremde wegen irgendeines Gesetzes- oder Satzungsverstoßes ohne Rücksicht auf dessen Schwere und die Bedeutung der betreffenden Angelegenheit die Nichtigkeit eines Beschlusses unbeschränkt geltend machen könnte (BGHZ 59, 369, 372). Für die – ähnlich wie ein Verein – auf eine unbegrenzte Vielzahl von Mitgliedern angelegte Publikumsgesellschaft gilt nichts anderes. Auch bei ihr ist eine Abstimmung nicht wirkungslos, wenn zwar ein Gesellschafter versehentlich nicht eingeladen worden ist, aber zugleich feststeht, daß dieser Fehler das Abstimmungsergebnis unter keinen Umständen beeinfluß haben kann.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist allerdings offen, weil das Berufungsgericht insoweit nichts festgestellt hat.
Die G. ist nicht versehentlich, sondern absichtlich nicht eingeladen worden, weil die Mitgesellschafter den falschen Standpunkt vertraten, daß sie nicht Gesellschafterin geworden sei. Hier genügte es nicht, daß das Berufungsgericht auf diesen Irrtum hinwies. Es hatte zusätzlich zu prüfen, ob es Gründe gab, die den Irrtum entschuldigten. Das wäre nicht der Fall, wenn die Gesellschafter sich leichtfertig der richtigen Ansicht verschlossen hätten.
Auch läßt sich die Kausalität des Verfahrensmangels für das Abstimmungsergebnis nicht – wie es das Berufungsgericht tut – schon damit verneinen, daß die G. mit ihren drei Stimmen gegen die 58 der Mitgesellschafter die Bestellung Dr. V. nicht hätte verhindern können. Hinzu kommen mußte, daß sicher auszuschließen war, daß die G., wäre sie erschienen, in einer der Abstimmung vorausgehenden Aussprache die Stimmabgabe der übrigen Gesellschafter so hätte beeinflussen können, daß die erforderliche Mehrheit nicht erreicht worden wäre (vgl. BGHZ 59, 369, 375 f).
Damit die Parteien Gelegenheit erhalten, ihren Vortrag sowohl zur Entschuldbarkeit des Irrtums als auch zur Kausalität zu ergänzen, und das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen treffen kann, wird die Sache zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 648986 |
WM 1983, 1407 |
ZIP 1984, 59 |
DNotZ 1985, 85 |