Dr. Stefan M. Schreiber, Prof. Dr. Dirk Simons
a. Bei Bewertung mit dem beizulegenden Zeitwert
aa. Während des Erdienungszeitraums
Tz. 178
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Das Unternehmen hat die Annullierung oder Erfüllung (cancellation or settlement) als vorgezogene
Ausübung zu betrachten (Fiktion) und folglich den Aufwand, der ansonsten noch im verbleibenden Erdienungszeitraum erfasst worden wäre, sofort zu buchen (IFRS 2.28 (a); sog. acceleration of vesting). Die Formulierung in IFRS 2 "der Betrag, der ansonsten (…) erfasst worden wäre" ("the amount that otherwise would have been recognised") hat sich in der Praxis indes als nicht eindeutig erwiesen. Fraglich ist, ob die Bestimmung des für das im Rahmen des acceleration of vesting relevanten Mengengerüsts auf der Grundlage aktueller Daten (dh. des Ist-Bestands im Zeitpunkt der Kündigung) zu erfolgen hat oder aber ob das erwartete Mengengerüst heranzuziehen ist, das sich ergeben hätte, wenn die anteilsbasierte Vergütungsvereinbarung nicht vorzeitig beendet worden wäre. Versteht man IFRS 2.28 (a) im letzteren Sinne (so Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (Hrsg.), IFRS-Kommentar, 20. Aufl., § 23, Tz. 157), wäre es zur Ermittlung des bei einer Kündigung zu erfassenden Aufwands erforderlich, sowohl die im Laufe des ursprünglichen Erdienungszeitraums noch ausscheidenden Mitarbeiter zu schätzen als auch eine Einschätzung zu treffen, ob die Erfüllung ggf. vereinbarter nicht marktbezogener Leistungsbedingungen wahrscheinlich ist oder nicht. Das Schrifttum sieht hier überwiegend bis zu einer (vom IASB indes noch nicht geplanten) Klarstellung der Formulierung in IFRS 2.28 (a) uE zutreffend beide oben dargestellten Sichtweisen als zulässig an, wobei die gewählte Rechnungslegungsmethode konsistent anzuwenden ist. (Vgl. Deloitte, iGAAP 2022, Kap. A16, Abschn. 5.5.2–1; EY, International GAAP 2022, Kap. 29, Abschn. 7.4.4.B; KPMG, Insights into IFRS 2021/2022, Tz. 4.5.1420.20).
Tz. 179
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Zahlungen, die zum Zeitpunkt der Beendigung an den Arbeitnehmer geleistet werden, sind als Eigenkapitalminderung zu erfassen (Rückerwerb); übersteigt dieser Betrag den beizulegenden Zeitwert (fair value) zum Zeitpunkt des Rückerwerbs, ist der überschießende Betrag direkt als Aufwand zu erfassen. Enthält die anteilsbasierte Vergütung Komponenten mit Schuldcharakter, so ist zunächst eine Neubewertung am Tag der Annullierung oder Erfüllung vorzunehmen. Alle Zahlungen, die zur Erfüllung der Schuldkomponente geleistet werden, sind als Tilgung zu erfassen (IFRS 2.28 (b)).
Tz. 180
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Erfolgt die Gegenbuchung zum Personalaufwand in den Gewinnrücklagen (vgl. Tz. 51), ist konsequenterweise auch die durch die vorzeitige Beendigung ausgelöste Eigenkapitalminderung über die Reduktion der Gewinnrücklagen vorzunehmen (so auch Hasenburg/Seidler, 2005, S. 811). Entsprechend hat eine Reduktion der Kapitalrücklage zu erfolgen, sofern die ursprüngliche Buchung die Kapitalrücklage berührt hat.
Tz. 180a
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Beispiel (vgl. EY, International GAAP 2022, Kap. 29, Abschn. 7.4.3, Illustration 7-10):
Sachverhalt: Zu Beginn von Jahr 1 gewährt ein Unternehmen einem leitenden Angestellten 30.000 Optionen und knüpft das Erreichen der Unverfallbarkeit der Bezugsrechte an das Aufrechterhalten des Beschäftigungsverhältnisses für weitere drei Jahre. Der beizulegende Zeitwert (fair value) einer Option liegt zu Beginn des Optionsplans bei EUR 10.
Am Ende des ersten Jahres gibt es keine Anzeichen, dass der Angestellte das Unternehmen bis zum Erreichen der Unverfallbarkeit verlassen wird, sodass Aufwand iHv. EUR 100.000 (30.000 Optionen * EUR 10 * 1/3) angesetzt wird.
Am Ende des zweiten Jahres hat der Aktienkurs einen Rückgang zu verzeichnen. Eine gegenläufige Entwicklung wird erst wieder für das Ende des dritten Jahres erwartet. Zwar sind die Optionen jetzt noch "in-the-money", der Fair Value beträgt jedoch nur noch EUR 6. Das Unternehmen wird von seinem größten Aktionär dazu angehalten, das Optionsprogramm zu widerrufen, da es einzig eine Dienst-, aber keine Leistungsbedingung beinhaltet. Das Unternehmen annulliert daher das Optionsprogramm und zahlt dem leitenden Angestellten zum Ausgleich am Ende des zweiten Jahres EUR 6,50 je Option, insgesamt also EUR 195.000 (30.000 Optionen * EUR 6,50).
Lösung: Nach IFRS 2 muss der Aufwand so angesetzt werden, als ob die Optionen zum Zeitpunkt der Annullierung unverfallbar geworden wären, sodass die aus der anteilsbasierten Vergütungsvereinbarung resultierenden Gesamtkosten EUR 300.000 (30.000 Optionen * EUR 10) betragen. Da im ersten Jahr bereits EUR 100.000 berücksichtigt wurden, verbleiben noch EUR 200.000. Der fair value der aufgekündigten Optionen beträgt EUR 180.000 (30.000 Optionen * EUR 6). Das Eigenkapital verringert sich demnach um diesen Betrag, die übrigen EUR 15.000 werden als Aufwand erfasst. Der Gesamtaufwand, den das (vorzeitig beendete) Optionsprogramm verursacht hat, beträgt EUR 315.000 ((EUR 10,00 + EUR 6,50 – EUR 6) * 30.000 Optionen).
Tz. 181
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Werden nach dem bilanziell als Rückerwerb behandelten Vorgang erneut Eigenkapital...