Prof. Dr. Corinna Ewelt-Knauer, Dr. Julian Höbener
Tz. 34
Stand: EL 43 – ET: 03/2021
In Deutschland besteht die Möglichkeit, sich – alternativ zur gewöhnlichen Anmietung – ein vertragliches Nutzungsrecht an einem Grundstück durch ein sog. Erbbaurecht im Rahmen eines Erbbaurechtsvertrags zu sichern. Dem Begünstigten, der Erbbauberechtigte, der nicht zugleich Eigentümer des Grundstücks ist, wird dabei das veräußerliche und vererbliche Recht eingeräumt, während der Vertragslaufzeit auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben (§ 1 Abs. 1 ErbbauRG; vgl. zu den zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen von Erbbaurechten Häfele/Theede, in: HdB, 211. Erg.-Lfg. April 2020, 40, Tz. 1–3). Das IDW hat sich im Zusammenhang mit deutschen Erbbaurechtsverträgen mit der Fragestellung beschäftigt, ob im Rahmen eines solchen Vertrags ein Leasingverhältnis iSd. IFRS 16 vorliegt oder ob vielmehr faktisch ein Kauf (in-substance purchase) vorliegt, der aus Sicht des Erbbauberechtigten als Grundstückserwerb nach IAS 16 bilanziell abzubilden ist (vgl. IDW RS HFA 50, IFRS 16-M1). Zwar enthält IFRS 16 keine separaten Regelungen zur Unterscheidung von einem Leasingverhältnis und dem Kauf eines Vermögenswertes (IFRS 16.BC138), gleichwohl ist auf Basis einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu prüfen, ob die zugrunde liegende Transaktion als Leasingverhältnis iSd. IFRS 16 oder aber als Kauf iSd. IAS 16 zu werten ist (IFRS 16.BC139 (b)).
Das IDW vertritt die Auffassung, dass im Fall von deutschen Erbbaurechtsverträgen kein nach IAS 16 abzubildender Kaufvorgang, sondern ein Leasingverhältnis iSd. IFRS 16 vorliegt (vgl. IDW RS HFA 50, IFRS 16-M1). Dieser Auffassung wird hier gefolgt (wohl glA Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe IFRS-Kommentar, 18. Aufl., § 15a, Tz. 34). So ist mit Blick auf die Leasingdefinition festzustellen, dass im Rahmen eines Erbbaurechtsvertrags – vorbehaltlich etwaiger Nebenabreden – mit dem Grundstück ein identifizierter Vermögenswert (IFRS 16.B13; vgl. Tz. 18) vorliegt und dem Erbbauberechtigten für einen bestimmten Zeitraum gegen Zahlung eines Entgelts (Erbbauzins; § 9 ErbbauRG) das exklusive Recht eingeräumt wird, im Wesentlichen den gesamten wirtschaftlichen Nutzen aus der Verwendung dieses identifizierten Vermögenswertes zu ziehen (IFRS 16.B21; vgl. Tz. 27) sowie über die Nutzung dieses Vermögenswertes zu bestimmen (IFRS 16.B24; vgl. Tz. 28) (vgl. IDW RS HFA 50, IFRS 16-M1; Freiberg/Klitzsch, BB 2018, S. 1132). Der Identifizierung eines Leasingverhältnisses iSd. IFRS 16.9 könnte auf den ersten Blick lediglich die oftmals sehr lange Laufzeit eines solchen Vertrags entgegenstehen (vgl. IDW RS HFA 50, IFRS 16-M1; ähnlich Freiberg/Klitzsch, BB 2018, S. 1132). So könnte argumentiert werden, dass angesichts sehr langer Laufzeiten und/oder durch entsprechende Verlängerungsoptionen wirtschaftlich betrachtet kein Unterschied zu einem Kauf des Grundstücks vorliegt, zumal der Erbbauberechtigte das Recht hat, das Erbbaurecht zu belasten oder zu veräußern. Sehr lange Vertragslaufzeiten sprechen indes nicht per se gegen das Vorliegen eines Leasingverhältnisses (IFRS 16.BC78). Entscheidend ist vielmehr, ob die Kontrolle über das Grundstück übertragen wird (IFRS 16.BC78 (b)). Der IASB führt im Kontext der Klassifizierung eines Leasingverhältnisses über Grundstücke aus Leasinggeberperspektive explizit aus, dass selbst bei einem Miet-/Pachtvertrag über 999 Jahre zwar die wesentlichen mit dem Grundstück verbundenen Chancen und Risiken übertragen werden und daher ein Finanzierungsleasingverhältnis, aber kein Kauf vorliegt (IFRS 16.BCZ242f.; vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe IFRS-Kommentar, 18. Aufl., § 15a, Tz. 34). Da Grundstücke regelmäßig eine unbegrenzte wirtschaftliche Nutzungsdauer (indefinite economic life) haben (IFRS 16.B55 vgl. Tz. 131), kann des Weiteren argumentiert werden, dass selbst nach sehr langen Laufzeiten noch ein nutzbarer Vermögenswert auf den rechtlichen Eigentümer zurückübertragen wird, sodass dieser weiterhin das Recht zur Nutzung des Restwertes innehat (vgl. IDW RS HFA 50, IFRS 16-M1).