Prof. Dr. Jens Wüstemann, Dr. Sonja Wüstemann
Tz. 196
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Fertigungsaufträge beruhen im deutschen Rechtsraum in der Regel auf dem Werkvertragsrecht, das gem. § 631 Abs. 1 BGB den Unternehmer zur Erstellung des versprochenen Werks und den Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung sowie zur Werkabnahme verpflichtet (§ 640 Abs. 1 BGB). Die im Rahmen eines Werkvertrags vereinbarten Leistungsverpflichtungen sind gem. IFRS 15 zunächst hinsichtlich ihrer Eigenständigkeit zu überprüfen. So kann bspw. eine erbrachte Ingenieurleistung bei einer Auftragsfertigung eine separate Leistungsverpflichtung darstellen, wenn der Kunde die Fertigungspläne an ein anderes Unternehmen zum Bau der Anlage übergeben kann (vgl. Heintges/Erber, WPg 2016, S. 1016 f.). Auch etwaige über die gesetzliche Gewährleistung hinausgehende Serviceleistungen sind in die Beurteilung einzubeziehen (vgl. Schurbohm-Ebneth/Omen, KoR 2015, S. 9). Sofern der Fertigungsauftrag jedoch kundenspezifische Vereinbarungen oder durchzuführende Integrationsleistungen umfasst und Abhängigkeiten zwischen den Leistungen bestehen, liegen nicht separierbare Leistungsverpflichtungen vor (vgl. Tz. 61–63).
Tz. 197
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Bei der Ausführung eines Fertigungsauftrags ist zu beurteilen, ob die Leistungsverpflichtung zeitraum- oder zeitpunktbezogen erfüllt wird. So vollzieht sich der Kontrollübergang mit fortschreitender Leistungserbringung, wenn der Kunde den Nutzen aus der unternehmerischen Leistung gleichzeitig erhält und konsumiert (IFRS 15.35(a)). Bei Fertigungsaufträgen ist das Kriterium der kontinuierlichen Nutzenziehung nicht erfüllt, da nicht eine kontinuierliche Leistung, sondern das Ergebnis in Form eines Gesamtwerks geschuldet wird (vgl. Wüstemann/Wüstemann, WPg 2014, S. 934), der "Prozess" der Werkerstellung selbst dem Kunden mithin keinen Nutzen stiftet (IFRS 15.BC128).
Tz. 198
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Ein zeitraumbezogener Kontrollübergang kann auch vorliegen, wenn das Unternehmen einen materiellen oder immateriellen Vermögenswert erstellt oder verbessert, den der Kunde bereits während der Leistungserbringung kontrolliert (IFRS 15.35(b); IFRS 15.B5). Dies gilt für Fertigungsaufträge über die Bauten auf fremdem Grund und Boden (vgl. Tz. 202). Dabei errichtet das Unternehmen das Gebäude bzw. das Werk auf dem Grundstück des Kunden, der mit fortschreitender Leistungserbringung kontinuierlich Kontrolle über den unfertigen Bau erlangt (IFRS 15.BC129 f.). Die Konkretisierung des Kontroll-Kriteriums ist dabei mit dem zivilrechtlichen Eigentumsübergang vergleichbar, wonach das Eigentum an der jeweiligen Sache durch Verbindung mit dem Grundstück an den Grundstückseigentümer übergeht (vgl. § 94 BGB; Stresemann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., § 94, Tz. 2).
Tz. 199
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Einschlägig ist bei Fertigungsaufträgen insbesondere das Kriterium des fehlenden alternativen Nutzens und des durchsetzbaren Zahlungsanspruchs der Umsatzerfassung aus langfristigen Fertigungsaufträgen (IFRS 15.BC132). Für die Beurteilung ist neben den zugrunde liegenden Vertragsbedingungen insbesondere das jeweilige Zivilrecht zu berücksichtigen (vgl. Kursatz et al., IRZ 2012, S. 19; KPMG, 2014, S. 76). Während die alternative Nutzbarkeit des Werks aufgrund kundenspezifischer Anpassungen oder vertraglicher Restriktionen beschränkt sein kann (vgl. Tz. 74), setzt die Fälligkeit der Vergütung bei Fertigungsaufträgen nach deutschem Zivilrecht die Abnahme des Werks voraus (§ 641 Abs. 1 BGB), die gewöhnlich nach Fertigstellung des Werks bei dessen Übergabe erfolgt (vgl. Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl., § 641 BGB, Tz. 3). Der Kunde hat gem. § 649 BGB das Recht, den Vertrag bis zur Vollendung des Werks jederzeit zu kündigen. Der Zahlungsanspruch beschränkt sich dann auf den Umfang der bis zur Kündigung erbrachten Werkleistung (vgl. BGH, NJW-RR 1990, S. 1110; BGH, NJW 1993, S. 1973). Das Unternehmen besitzt dabei einen Anspruch auf Abnahme des bis dahin mangelfrei erstellten Werks, da der Vertrag für die bis zur Kündigung erfüllten Leistungsverpflichtungen Gültigkeit behält (vgl. BGH, NJW 2006, S. 2476). Treten hingegen Leistungsstörungen beim Unternehmen auf, sollte bis zur Mängelbeseitigung regelmäßig keine Werkabnahme stattfinden und folglich kein fälliger Vergütungsanspruch bestehen. Die Beurteilung der Kündigungsmöglichkeit nach IFRS 15 erfolgt jedoch ohne Berücksichtigung etwaiger Leistungsstörungen, weshalb das Recht auf Zahlung entsprechend IFRS 15.35(c) bei den meisten Werkverträgen erfüllt sein sollte und eine zeitraumbezogene Umsatzerfassung zur Folge hat (vgl. Heintges et al., Erfahrungen aus der Anwendung, WPg 2015, S. 582; Baur et al., KoR 2016, S. 400–402).
Tz. 200
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Ein zeitpunktbezogener Kontrollübergang, der eine Umsatzerfassung im Zeitpunkt der Werkabnahme erfordern würde, ist bei Fertigungsaufträgen daher eher der Ausnahmefall. Insbesondere bei Auftragsfertigungen in der Baubranche sind daher im Ergebnis keine Änderungen zu...