Prof. Dr. Andreas Barckow, Jens Berger
Tz. 204
Stand: EL 52 – ET: 02/2024
Die Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen nach IFRS gehört ohne Frage zu den komplexesten Vorschriften in der Rechnungslegung. Dabei rührt die Komplexität allerdings nicht allein aus den Bilanzierungsvorschriften, sondern ist zu einem guten Teil dem Umstand geschuldet, dass Rechnungslegung und betriebliches Risikomanagement zwei Teildisziplinen der Betriebswirtschaftslehre sind, die keine natürliche Schnittstelle aufweisen. Nur zu häufig werden diese beiden Disziplinen in der Literatur miteinander vermischt, was der Aufarbeitung der Thematik nicht zuträglich ist. Vielmehr ist ein klares Verständnis davon, was der Sinn und Zweck des Hedge Accounting ist (und was eben nicht), vonnöten, um zu verstehen, warum sich Risikomanagement und bilanzielle Abbildung nicht im Gleichlauf befinden, nicht befinden können (s. a. Barz/Weigel, 2011, S. 230). Der Fairness halber sei angemerkt, dass der IASB selbst zu dieser Unschärfe beiträgt, wenn er in der seit 2018 geltenden Norm IFRS 9 einem Bilanzierer gerade diesen Gleichlauf abfordert, wenn dieser die Bilanzierungsvorschriften für Sicherungsbeziehungen nutzen möchte (hierzu vgl. auch IFRS-Komm., Teil B, IFRS 9, Tz. 269 und 274f.).
Tz. 205
Stand: EL 52 – ET: 02/2024
In der betrieblichen Risikomanagementlehre werden hinsichtlich der Steuerung von Risiken verschiedene Maßnahmen und Strategien unterschieden. Dazu gehören
- der Verzicht auf bestimmte Geschäfte (Risikovermeidung),
- der Abschluss von Geschäften bis zum Erreichen eines vorgegebenen Limits (Risikobegrenzung),
- der Abschluss eines Geschäfts und dessen unmittelbare oder kurzfristige Weitergabe an einen fremden Dritten (Risikoüberwälzung),
- die Eingehung mehrerer Geschäfte mit unterschiedlichem und teilweise kompensierendem Risikoprofil (Risikodiversifikation) sowie
- die Eingehung eines Geschäfts und die bewusste Eingehung eines oder mehrerer anderer Geschäfte mit gegenläufigem Risikoprofil (Risikoabsicherung = hedging).
Tz. 206
Stand: EL 52 – ET: 02/2024
Die Abbildung von Sicherungsmaßnahmen bzw. Sicherungsbeziehungen in der Rechnungslegung mittels spezieller Ansatz-, Bewertungs- und Ausweisvorschriften wird als Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen (Hedge Accounting) bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen nicht zum Ziel hat, sämtliche in einem Unternehmen getätigten Sicherungsmaßnahmen im Abschluss abzubilden – Hedge Accounting ist kein Abbildungsautomatismus und bedeutet nicht accounting for (all) hedging activities! Das Hedge Accounting dient vielmehr dazu, den bilanziellen Ausweis von Ergebnis- und/oder Eigenkapitalvolatilität verhindern bzw. begrenzen zu helfen, der sich aufgrund des für Finanzinstrumente vorgeschriebenen gemischten Bewertungsmodells ergibt. Anders formuliert: Die Anwendung der allgemeinen Ansatz- und Bewertungsvorschriften soll bei Vorliegen von Sicherungsbeziehungen, die bestimmten Eigenschaften genügen, teilweise außer Kraft gesetzt werden dürfen (vgl. IAS 39.71). Es handelt sich also um ein Bilanzierungswahlrecht, das wie die Fair Value Option ausgeübt werden kann, aber nicht muss (s. a. Deloitte LLP, C9 1; KPMG IFRG Limited, 2022/23, Tz. 7I.7.10.50). Wenn ein Unternehmen allerdings Gebrauch von den Regelungen machen will, muss es nachweisen, dass es dazu auch berechtigt ist und diese Berechtigung sich auf den Nachweis bestimmter Sicherungsmaßnahmen gründet. Daraus folgt, dass ein Unternehmen sehr wohl Hedging betreiben kann, ohne auf Hedge Accounting zurückgreifen zu müssen (dies schien zumindest bei den Industrie- und Handelsunternehmen des DAX30 in nennenswertem Umfang der Fall gewesen zu sein, vgl. Knappstein/Schmidt, 2015, S. 580); der Umkehrschluss gilt indes nicht.
Tz. 207
Stand: EL 52 – ET: 02/2024
Die Frage, was als Absicherung anzusehen ist, hängt unmittelbar an der Frage, welche Umstände als mit Risiko behaftet angesehen werden. Risiken lassen sich transaktions- oder positionsbezogen definieren. Von einem transaktionsbezogenen Risiko spricht man, wenn das einem einzelnen Geschäft innewohnende Risiko gemeint ist. Positionsbezogene Risiken stellen demgegenüber auf eine Nettorisikoposition aus mehreren, teilweise gegenläufigen Geschäften ab. Die Klärung der Frage, was unter Risiko verstanden wird, ist essentiell, soll der Kreis der für eine besondere Bilanzierung in Frage kommenden Transaktionen festgelegt werden: Ohne Risiko keine Absicherung und ohne Absicherung keine Bilanzierung von Sicherungen. Insofern kommt der Beantwortung der Frage, wie Risiko abzugrenzen ist, eine entscheidende Bedeutung zu. Wie zu zeigen sein wird, belegt der IASB den Risikobegriff transaktionsbezogen: Er fordert also den Nachweis einer Risikoverringerung am Einzelgeschäft, nicht aber der Reduktion auf Unternehmensebene (vgl. IAS 39.IG.F.2.6).
Tz. 208
Stand: EL 52 – ET: 02/2024
Wie oben (vgl. Tz. 206) ausgeführt, werden bei der Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen die für Finanzinstrumente ansonsten einschlägigen ...