Dipl.-Ök. Ulf Blaum, Prof. Dr. Meike Utzerath
Tz. 15
Stand: EL 39 – ET: 11/2019
Das Problem der Abgrenzung latenter Ertragsteuern stellt sich, wenn IFRS-Bilanzgewinn und Steuerbilanzgewinn voneinander abweichen und somit die aus der steuerlichen Bemessungsgrundlage resultierenden Ertragsteuerforderungen bzw. -verbindlichkeiten in der IFRS-Bilanz in keinem sinnvollen und erklärbaren Zusammenhang zum veröffentlichten handelsrechtlichen Ergebnis stehen (in diesem Zusammenhang sei nochmals darauf verwiesen, dass der Begriff "handelsrechtlich" keine Bezugnahme zum deutschen HGB darstellen soll). Latente Steuern resultieren demnach prinzipiell aus der Differenz zwischen Steuerschuld aufgrund des steuerlichen Gewinns und einer fiktiven Steuerschuld aufgrund eines nicht durch steuerliche Bilanzierungsvorschriften verfälschten Bilanzgewinns nach IFRS. Dieser Betrag kann entweder positiv oder negativ sein und bei einer bilanziellen Berücksichtigung somit entweder zu einem aktivischen oder passivischen Abgrenzungsposten für latente Steuern führen (vgl. Coenenberg/Haller/Schultze, 2018, S. 484). Daraus folgend und abhängig von der Abgrenzungskonzeption würde ohne eine Abgrenzung von Ertragsteuern die Vermögenslage verfälscht, da die künftigen ertragsteuerlichen Konsequenzen aus der Auflösung der Bewertungsunterschiede in der Zukunft – das Steuerminderungspotenzial bzw. die potenzielle künftige Steuerbelastung – nicht durch den Ansatz entsprechender latenter Steuerposten (Vermögenswerte bzw. Schulden) berücksichtigt würden.
Tz. 16
Stand: EL 39 – ET: 11/2019
Für die Abgrenzung latenter Steuern gibt es grundsätzlich zwei Konzepte: das timing-Konzept und das temporary-Konzept. Das ältere Konzept ist das timing-Konzept, das bereits in der US-amerikanischen Richtlinie APB Opinion No. 11, die bis zum 15. Dezember 1989 Gültigkeit hatte, verwirklicht war. Dieses Konzept wurde auch in die 4. EG-Richtlinie und mit deren Umsetzung durch das BiRiLiG im deutschen Bilanzrecht (HGB) verankert. Auch der frühere IAS 12 (reformatted 1994) entsprach dem timing-Konzept. Mit der Ablösung von APB Opinion No. 11 durch SFAS No. 96 wurde das timing-Konzept durch das temporary-Konzept ersetzt, das auch in dem derzeit gültigen US-amerikanischen Rechnungslegungsstandard ASC 740 (früher: SFAS No. 109) Anwendung findet (vgl. dazu von Eitzen/Helms, BB 2002, S. 823). Dem temporary-Konzept folgt auch IAS 12. Mit dem Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) erfährt nunmehr auch das deutsche Bilanzrecht eine Abkehr vom timing-Konzept hin zum temporary-Konzept (wird im Folgenden von der Fassung des HGB vor Verabschiedung des BilMoG gesprochen, so wird dies mit dem Zusatz (aF) versehen, erfolgt eine Bezugnahme auf das HGB in der Fassung entsprechend dem BilMoG, so erfolgt dies mit dem Zusatz (nF)). Der deutsche Standard DRS 10 (Latente Steuern im Konzernabschluss) folgte in Anlehnung an das HGB (aF) noch dem timing-Konzept, realisierte durch seine Formulierungen aber auch das temporary-Konzept, sodass er als Mischform charakterisiert werden kann (vgl. Schmidbauer, DB 2001, S. 1569f.; Wotschofsky/Heller, IStR 2002, S. 819). Durch das BilMoG erfolgte eine Änderung der Grundkonzeption der latenten Steuerabgrenzung, die im DRS 18 umgesetzt wurde. Der DRS 18 ersetzte den DRS 10 und wurde durch den Deutschen Standardisierungsrat (DSR) am 08.06.2010 verabschiedet.
Auch wenn die Abgrenzung latenter Steuern nach dem timing-Konzept in der Praxis an Bedeutung verloren hat, ist ein grundlegendes Verständnis dieses Abgrenzungskonzeptes unerlässlich. Aus diesem Grund wird im Folgenden auch auf das timing-Konzept eingegangen. Da das timing-Konzept bis zur Gültigkeit des BilMoG im HGB aF verankert war, wird bei seiner Darstellung im Folgenden von Handelsbilanz (HB) statt von IFRS-Bilanz gesprochen.