Prof. Dr. Jens Wüstemann, Dr. Sonja Wüstemann
Tz. 64
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Die Umsatzerfassung ist gem. IFRS 15.31 an die Erfüllung eigenständiger Leistungsverpflichtungen gebunden, wonach die einzelnen Güter und Dienstleistungen an den Kunden übertragen werden, wenn dieser die Kontrolle ("control") über die jeweiligen Vermögenswerte erlangt (IFRS 15.31). Während Güter als greifbare Vermögenswerte übergeben werden, gilt für Dienstleistungen die "Fiktion […], dass der Kunde für eine logische Sekunde Kontrolle über einen Vermögenswert erlangt" (Heintges et al., Erfahrungen aus der Anwendung, WPg 2015, S. 581; vgl. IFRS 15.33; IFRS 15.BC118(a)). Basierend auf der Vermögenswertdefinition des Rahmenkonzepts verweist der Kontrollübergang auf die Fähigkeit des Kunden, über die Verwendung des Vermögenswerts zu bestimmen und den Nutzen aus diesem zu ziehen sowie Dritte hiervon ausschließen zu können (IFRS 15.33; IFRS 15.BC120). Umsatzerlöse dürfen demnach erst dann erfasst werden, wenn der Kunde die Verfügungsmacht erlangt, mithin einen vertraglichen Anspruch innehat (IFRS 15.BC120(a)). Der Kontrollübergang ist im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für jede eigenständige Leistungsverpflichtung aus Sicht des Kunden zu beurteilen, wodurch nur diejenigen Aktivitäten des Unternehmens Berücksichtigung finden sollen, die der Übertragung der Güter und Dienstleistungen dienen (IFRS 15.32; IFRS 15.BC121). Auch etwaige Rückkaufvereinbarungen sind bei der Beurteilung des Kontroll-Kriteriums zu berücksichtigen (vgl. Tz. 169–176).
Tz. 65
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Die Anknüpfung der Umsatzerfassung an die Erfüllung vertraglicher Leistungsverpflichtungen entspricht grundsätzlich einem vertragsbasierten Ansatz, da bei gegenseitigen Verträgen im Zeitpunkt der Leistungserbringung des Unternehmens die Gegenleistung des Kunden eingefordert werden kann (vgl. Wüstemann/Wüstemann, WPg 2014, S. 933; zum deutschen Zivilrecht Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., § 320 BGB, Tz. 1). Eine konsequente Umsetzung des Asset-Liability-Ansatzes würde dabei den Zugang einer bilanzrechtlichen Forderung verlangen (vgl. Wagenhofer, Accounting and Business Research 2014, S. 362). Anstatt direkt auf den Forderungszugang abzustellen, wird in IFRS 15 Hauptaugenmerk auf die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung gelegt, die in wirtschaftlicher Betrachtungsweise mit der Übertragung der versprochenen Güter und Dienstleistungen einhergeht. Das IASB diskutierte im Rahmen der Standardsetzung zwar die Ausrichtung der Erlöserfassungsregelungen an der Erlangung des rechtlich durchsetzbaren Zahlungsanspruchs, lehnte diesen Ansatz jedoch ab (IFRS 15.BC148; kritisch hierzu vgl. Wüstemann/Wüstemann, WPg 2014, S. 934). Die Anknüpfung an das Kontroll-Kriterium ist konsequent im Hinblick auf die Ausgestaltung anderer Standards sowie des Rahmenkonzepts (vgl. Hommel, 2014, S. 353 f.), da es nicht nur Ansatzkriterium bspw. des IFRS 10 und IFRS 11 (vgl. Schmidt et al., DB 2015, S. 143) sowie des IFRS 16, sondern auch zentrales Merkmal der Vermögenswertdefinition im Rahmenkonzept darstellt (CF 4.4).
Tz. 66
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Im Rahmen der Überarbeitung der Erlöserfassungsregelungen sollten die bestehenden Inkonsistenzen zwischen der risikobasierten Umsatzerfassung nach IAS 18 und der performance-orientierten Umsatzerfassung nach IAS 11 beseitigt werden (IFRS 15.BC 2 f.; zu den Unterschieden vgl. Moxter, ZVglRWiss 2004, S. 275–279; Wüstemann/Wüstemann, ZfB 2009, S. 49). Trotz der angestrebten Vereinheitlichung wird das Kontroll-Kriterium in IFRS 15 für zeitpunkt- und zeitraumbezogene Leistungsverpflichtungen unterschiedlich konkretisiert (vgl. Baetge/Celik, IRZ 2014, S. 366), sodass bei der zeitlichen Erfassung von Umsatzerlösen "konzeptionelle Parallelen" zwischen den alten und neuen Regelungen bestehen (vgl. Küting/Lam, DStR 2012, S. 2352 (auch Zitat)). Dabei wurde der Kritik der eingegangenen Stellungnahmen – einer zu restriktiven Umsatzerfassung – Rechnung getragen und ein kontinuierlicher Kontrollübergang im Sinne einer nach IAS 11 bestehenden Percentage-of-Completion-Methode rückeingeführt (IFRS 15.BC 122 f.; vgl. Wagenhofer, Accounting and Business Research 2014, S. 367 f.; Baetge/Celik, IRZ 2014, S. 366; Biondi et al., Accounting in Europe 2014, S. 21 f.; Brune, in: Beck’sches IFRS Handbuch, 5. Aufl., § 9, Tz. 142, 150). Die daraus resultierende dynamische Umsatzerfassung dient der getreuen Darstellung der Unternehmensperformance (IFRS 15.BC85 iVm. IFRS 15.BC122 f.); sie führt jedoch zur Beibehaltung der bestehenden bilanztheoretischen Inkonsistenzen (vgl. Wüstemann/Wüstemann, WPg 2014, S. 935; Grote et al., Die neuen Vorschriften zur Umsatz- und Gewinnrealisierung (Teil 1), KoR 2014, S. 405; Schoo, 2013, S. 151; Fink et al., DB 2012, S. 2002; Wollmert, 2012, S. 89).