Dipl.-Ök. Ulf Blaum, Prof. Dr. Meike Utzerath
Tz. 56
Stand: EL 39 – ET: 11/2019
Grundsätzlich erfordert IAS 12 eine passivische latente Steuerabgrenzung in allen Fällen, in denen temporary differences bei ihrer Auflösung in späteren Perioden zu einer höheren Steuerbelastung führen, als aus Sicht der IFRS-Bilanz gerechtfertigt wäre (IAS 12.15). Von diesem Grundsatz sieht IAS 12.15 zwei Ausnahmen (Passivierungsverbote) vor: Eine Ausnahme bilden temporary differences, die aus der Aktivierung eines Goodwill in der IFRS-Bilanz resultieren, dessen spätere Abschreibung mit steuerlicher Wirkung nicht möglich ist (IAS 12.15(a)). Das betrifft im deutschen Recht die im Rahmen der Kapitalkonsolidierung entstehenden oder verbleibenden Unterschiedsbeträge. Dementgegen sind Geschäfts- oder Firmenwerte, die aus Unternehmenserwerben durch Übernahme der einzelnen Vermögenswerte (asset deal) entstehen, im Rahmen der Steuerabgrenzung zu berücksichtigen, nicht dagegen Geschäfts- oder Firmenwerte, die bei Gesamtrechtsnachfolge (share deals) entstehen. Eine weitere Ausnahme sind erfolgsneutrale Unterschiede zwischen IFRS- und Steuerbilanzansatz bei Erstverbuchung eines Vermögenswertes oder einer Schuld, soweit diese nicht im Zusammenhang mit einer Unternehmensakquisition stehen (IAS 12.15(b)). In der deutschen Praxis sind für diesen Fall wenig Anwendungsfälle bekannt. Beispielhaft kann die Entlassung öffentlicher Wohnungsunternehmen in die Privatwirtschaft genannt werden, wobei diesen Unternehmen eine steuerfreie Aufdeckung der stillen Reserven gewährt wurde.
Tz. 56a
Stand: EL 39 – ET: 11/2019
Unklar ist derzeit (noch) die Anwendung dieser Vorschrift in Fällen, in denen aus dem gleichzeitigen Zugang eines Vermögenswerts und einer Verbindlichkeit sowohl aktivische als auch passivische Unterschiedsbeträge resultieren. Dies ist bspw. der Fall bei Zugang von Nutzungsrechten iSv. IFRS 16 oder bei Sachanlagen, die mit einer Rückbauverpflichtung verbunden sind. In diesen Fällen ist bei Zugang der Vermögenswerte gleichzeitig in entsprechender Höhe eine Verpflichtung einzubuchen, sodass hier sowohl bezogen auf den Vermögenswert als auch auf die Verpflichtung in gleicher Höhe aktivische und passivische Unterschiedsbeträge resultieren können. Diesbezüglich bestehen unterschiedliche Sichtweisen im Hinblick auf die Anwendung von IAS 12.15 und IAS 12.24: Nach einer Sichtweise ist vorliegend die Ausnahmeregelung einschlägig, sodass keine latenten Steuern anzusetzen sind. Nach einer anderen Auffassung ist die Ausnahmeregelung nicht einschlägig, da IAS 12.15 und IAS 12.24 nicht den gleichzeitigen Zugang eines Vermögenswerts und einer Verbindlichkeit zum Gegenstand haben (der Wortlaut spricht von Erstverbuchung eines Vermögenswertes oder einer Schuld). Nach einer weiteren Auffassung ist der gleichzeitige Zugang eines Vermögenswerts und einer Verbindlichkeit als ein einziger Sachverhalt anzusehen. Nach dieser Auffassung stehen sich bei Zugang etwa eines Nutzungsrechts Vermögenswert und Verbindlichkeit in gleicher Höhe gegenüber, sodass der bilanzielle erfasste Nettobetrag null beträgt. Ist das Leasingverhältnis steuerlich als Operating-Leasing zu klassifizieren, beträgt der Steuerwert ebenfalls null, sodass bei Zugang keine temporäre Differenz vorliegt, mithin die Ausnahmeregelung nicht greift. Soweit in der Folgebewertung sich Differenzen ergeben, sind hierauf nach dieser Auffassung dann latente Steuern anzusetzen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass seit 2019 IFRS 16 anzuwenden ist und damit diese Frage eine hohe Praxisrelevanz nach sich zieht, hat der IASB beschlossen, die Fragestellung durch eine Änderung von IAS 12 klarzustellen (vgl. Tz. 150).
Tz. 56b
Stand: EL 39 – ET: 11/2019
Darüber hinaus sieht IAS 12.15 iVm. IAS 12.39ff. unter bestimmten Voraussetzungen Einschränkungen des Ansatzes latenter Steuern für Unterschiede zwischen IFRS- und Steuerbilanzansatz von Beteiligungen an verbundenen Unternehmen, Anteilen an gemeinsamen Vereinbarungen oder assoziierten Unternehmen vor (vgl. dazu IFRS-Komm., Teil B, IAS 28, Tz. 173ff.).
Tz. 56c
Stand: EL 39 – ET: 11/2019
In allen anderen Fällen, in denen der IFRS-Buchwert eines Vermögenswertes seinen Steuerwert bzw. seinen Wertansatz in der Steuerbilanz übersteigt, ist für die aus handelsrechtlicher Sicht resultierende steuerliche Zusatzbelastung eine latente Steuerverbindlichkeit zu passivieren. Mit dem sukzessiven Verbrauch des Vermögenswertes in der IFRS-Bilanz (zB durch Abschreibungen oder aber durch den Verkauf des Vermögenswertes) vermindert sich die temporary difference oder löst sich auf. Mit der (ggf. schrittweisen) Auflösung der temporary difference ist eine zusätzliche Steuerbelastung verbunden, die mit dem IFRS-Ergebnis nicht kompatibel ist. Mit der synchron zu erfolgenden Auflösung der latenten Steuerverbindlichkeit werden IFRS-Ergebnis und zugehöriger Steueraufwand periodengerecht in Übereinstimmung gebracht.
Tz. 57
Stand: EL 39 – ET: 11/2019
Temporary differences iSv. IAS 12führen grundsätzlich zu einer latenten Steuerabgrenzung, unabhängig...