Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 266
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Die Regelungen zur Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen weisen gegenüber den vorangegangenen Abschnitten eine einschneidende Besonderheit auf: Da sich der IASB im Zuge der Entwicklung von IFRS 9 nicht in der Lage sah, eine endgültige Regelung zu dynamischen Sicherungsstrategien vorzulegen, hat er beschlossen, die existierenden Regelungen zur Bilanzierung von Portfolioabsicherungen von Festzinsrisiken aus IAS 39 vorerst weiterhin aufrechtzuhalten – allerdings nicht qua Übernahme in IFRS 9, sondern in der Vorgängerregelung IAS 39 (vgl. IFRS 9.BC6.84ff.)! Vordergründig lässt sich dieses Vorgehen damit erklären, dass der IASB in IFRS 9 eine gegenüber IAS 39 geänderte Logik der Grundnormen zur Anwendung kommen lässt, die sich mit dem geschlossenen Regelungskreis zur Portfolioabsicherung nur schwerlich vereinbaren lässt. Es schien dem Board daher einfacher, diese entsprechenden Passagen nicht in den neuen Standard zu übernehmen, wo sie den allgemeinen Prinzipien unterworfen wären, sondern sie (vorerst) in IAS 39 zu belassen (vgl. IFRS 9.BC6.92). Ein weiterer, eher politischer Grund mag darin liegen, dass die Vorschriften zur Portfolioabsicherung in der Europäischen Union nicht uneingeschränkt übernommen wurden, sondern eine Modifizierung erfuhren (sog. Carve Out). Der IASB wollte den neu entwickelten Standard nachvollziehbar nicht dem Risiko aussetzen, dass die gleiche Modifizierung möglicherweise auch IFRS 9 treffen würde. Also entschloss man sich, den Teilabschnitt in IAS 39 zu belassen und Unternehmen stattdessen ein offenes Wahlrecht einzuräumen, die bestehenden Vorschriften ergänzend zu den Regelungen in IFRS 9 anwenden zu dürfen (vgl. IFRS 9.6.1.3). Für die Kommentierung dieser Vorschriften wird auf die Anmerkungen in der Kommentierung zu IAS 39 verwiesen (vgl. IFRS-Komm., Teil B, IAS 39, Tz. 271ff.).
Tz. 267
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Neben der Aufrechterhaltung der Sicherungsbilanzierung für Portfolien hat der IASB ferner ein Methodenwahlrecht eingeräumt und Bilanzierern die Wahl gelassen, entweder die Regelungen in IAS 39 oder in IFRS 9 für die Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen heranzuziehen (jeweils in toto; vgl. IFRS 9.7.2.21 und BC6.104). Die Ausübung dieses Wahlrechts gilt – mit Ausnahme der vorstehend genannten und getrennt nutzbaren Portfoliosicherung – für alle Sicherungsbeziehungen und kann nicht für jede Absicherung neu ausgeübt werden. Ursächlich für diese Regelung war der Umstand, dass man (a) Bilanzierern nicht zumuten wollte, binnen (vermeintlich!) kurzer Frist etwaige Makroabsicherungen abermals einer andersartigen Bilanzierung unterziehen zu müssen und (b) Bestimmungen in den Umsetzungsleitlinien von IAS 39 interimistisch aufrechterhalten wollte, die es Bilanzierern ermöglichen, dynamische Sicherungen "virtuell" abzubilden. Da IFRS 9für die Nutzung der Sicherungsbilanzierung den Nachweis verlangt, dass die Bilanzierung im Einklang mit der tatsächlichen Sicherungsstrategie steht, wurden diese Passagen nicht in den neuen Standard überführt. Es steht zu vermuten, dass der IASB die vorstehenden Entscheidungen auch in diesem Fall bewusst getroffen hat, um das Risiko eines möglicherweise weitergehenden Carve-outs an IFRS 9 zu vermeiden. Damit bleibt IAS 39 auch nach dem Inkrafttreten von IFRS 9 zumindest als Rumpfstandard einstweilen weiterhin bestehen.
Tz. 268
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Aus Sicht eines Standardsetzers kann dieses Vorgehen – so nachvollziehbar es angesichts der politischen Umstände auch ist – natürlich nicht befriedigen (glA. Schmidt/Barekzai/Hüttermann, DB 2014, S. 434). Die Tatsache, dass zwei Standards mit identischem Regelungsgegenstand parallel anwendbar gemacht werden, ist der Vergleichbarkeit von Abschlüssen definitiv nicht zuträglich. Sie bewog das damalige Boardmitglied Patrick Finnegan genau aus diesem Grund zur Ablehnung der Regelungen (vgl. IFRS 9(2013).DO.2–4). Zudem haben Abschlussleser immer wieder moniert, dass sich die Risikosituation eines Unternehmens aus der Anwendung von IAS 39 nicht erkennen lasse (vgl. IFRS 9.BCE.178f.; ob dies künftig unter IFRS 9 anders sein wird, bleibt abzuwarten). Letztlich hat sich der IASB durch diese Vorgehensweise Zeit gekauft, ist doch ein Abschluss des Projekts zu dynamischen Sicherungsstrategien – noch dazu ein erfolgreicher! – gegenwärtig kaum absehbar (so schon Finnegan 2013 in seiner Ablehnung, vgl. IFRS 9(2013).DO.4).