Dr. Stefan M. Schreiber, Prof. Dr. Dirk Simons
Tz. 42
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Das "vesting" bezeichnet den rechtlichen Zustand, bei dessen Erreichen dem Begünstigten sein Recht auf Bezug der anteilsbasierten Vergütung nicht mehr streitig gemacht werden kann. Charakteristisch ist deshalb die Unentziehbarkeit des Anspruchs für den Begünstigten. Ausgehend von diesem Begriffsverständnis wird im Rahmen dieser Kommentierung hierfür regelmäßig der Ausdruck "Unverfallbarkeit" oder alternativ "Unentziehbarkeit" verwendet. Weniger geeignet erscheint demgegenüber der Begriff "Ausübbarkeit" bzw. "ausübbar werden", wie er in der amtlichen deutschen Übersetzung für "to vest" verwendet wird, da auch ein unverfallbar bestehender Anspruch auf Erhalt einer anteilsbasierten Vergütung noch nicht bedeutet, dass der Anspruch auch sofort geltend gemacht werden kann.
Tz. 43
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Mithin ist zwischen dem Zeitraum, der für die Unverfallbarkeit des Anspruchs maßgebend ist (vesting period), und bloßen Ausübungszeiträumen (exercise period) zu differenzieren, wobei es im Einzelfall mitunter schwierig sein kann, diese wichtige Separierung sachgerecht durchzuführen (vgl. dazu EY, International GAAP 2022, Kap. 29, Abschn. 3.3 mit Beispielen).
Tz. 44
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Folgerichtig ist auch die im deutschen Sprachraum vielfach übliche Gleichsetzung des Ausdrucks "Sperrfrist" mit dem Terminus "vesting period" nicht unproblematisch. Wenn dieser Ausdruck – wie wohl zumeist – in Anlehnung und als Synonym für die im Zusammenhang mit § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG vorgesehene "Wartefrist" Gebrauch findet, bestehen gegen eine Gleichsetzung jedoch keine Bedenken, da auch der Wortlaut der aktienrechtlichen Vorschrift sehr wohl zwischen den (durch das VorstAG ausgedehnten) mindestens vierjährigen "Wartefristen" und den erst nach deren Ablauf beginnenden "Ausübungszeiträumen" zu unterscheiden weiß (vgl. dazu Fuchs, in: MünchKomm AktG, 5. Aufl., § 193 AktG, Tz. 32ff.). Die amtliche Übersetzung vermeidet indes eine diesbezüglich mögliche begriffliche Konfusion und führt den (eigenständigen) Ausdruck "Erdienungszeitraum" ein.
Tz. 45
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Bedingungen, die den Rechtsanspruch noch gefährden können, werden als Ausübungsbedingungen (vesting conditions) bezeichnet, wobei diese ausschließlich service conditions (vgl. Tz. 28) und/oder performance conditions (vgl. Tz. 32) umfassen (s. a. die im Zuge des Amendments von IFRS 2 im Dezember 2013 weiter geschärfte Begriffsabgrenzung im Anhang A zu IFRS 2). Zu Beispielen vgl. Tz. 144.
Abb. 1: Ausübungsbedingungen
Tz. 45a
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Von den vesting conditions zu unterscheiden sind jene Bedingungen, welche die Unverfallbarkeit des Anspruchs weder an die Erfüllung bestimmter persönlicher oder unternehmensspezifischer Erfolgsziele (performance conditions) noch an die Ableistung einer bestimmten Dienstzeit (service condition) knüpfen (sog. non-vesting conditions). Diese werden in der amtlichen deutschen Übersetzung als "Nicht-Ausübungsbedingungen" bezeichnet. Vorzugswürdiger ist indes die im Schrifttum vorzufindende Bezeichnung als sonstige oder andere Bedingungen, zu denen bspw. die im Rahmen von employee share purchase plans übliche Verpflichtung des Anspruchsberechtigten zur regelmäßigen Einzahlung eines bestimmten Betrags während des Erdienungszeitraums zählt (vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (Hrsg.), IFRS-Kommentar, 20. Aufl., § 23, Tz. 76).
Tz. 45b
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Leistungsbedingungen (performance conditions) und Nicht-Ausübungsbedingungen (non-vesting conditions) unterscheiden sich dadurch, dass erstere implizit oder explizit von dem Begünstigten eine Gegenleistung (dh. im Falle eines Arbeitnehmers künftige Arbeitsleistungen) erfordern (service requirement; IFRS 2.BC171A aE). Dies hat zur Folge, dass Bedingungen, die bspw. an einen erfolgreichen Börsengang oder eine Mindestkurssteigerung der Aktien anknüpfen, dann keine Leistungsbedingungen darstellen, wenn nicht zugleich über eine Dienstbedingung (service condition) sichergestellt ist, dass das Unternehmen auch eine Gegenleistung (zB Arbeitsleistung) für die Zusage erhält. Leistungsbedingungen müssen somit immer mit einer entsprechenden Dienstbedingung verknüpft sein.