Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 43
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Die Beurteilung der Beherrschung nach IFRS 10 fokussiert sich auf die Frage, ob ein Investor ein anderes Unternehmen (entity) beherrscht (IFRS 10.5). Der Begriff "Unternehmen" wird im IFRS 10 nicht definiert, wiederholt sich allerdings in den Begriffen "Tochterunternehmen", "Mutterunternehmen" und "Beteiligungsunternehmen". Ein Mutterunternehmen ist ein Unternehmen, das ein oder mehrere Unternehmen beherrscht (IFRS 10 Appendix A). Ein Tochterunternehmen ist ein Unternehmen, das durch ein anderes Unternehmen beherrscht wird (IFRS 10 Appendix A).
Tz. 43a
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Das andere Unternehmen wird auch als Beteiligungsunternehmen (investee) bezeichnet (IFRS 10.5). Auch der Begriff "Beteiligungsunternehmen" wird in IFRS 10 nicht definiert. IFRS 10 verweist aber darauf, dass der Begriff "Beteiligung an einem anderen Unternehmen" (interest in another entity) in einem anderen Standard definiert wird. IFRS 12 definiert (mit leicht abweichender deutscher Übersetzung) "Anteil an einem anderen Unternehmen" (interest in another entity). Diese Definition fokussiert sich auf die Definition eines "Anteils" an einem Unternehmen (vgl. Tz. 26a ff.), ebenfalls ohne den Begriff des "Unternehmens" weiter zu definieren.
Tz. 44
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Die bisher in IAS 27 (amend. 2008) zur Definition von Beherrschung verwendeten Begriffe reporting entity und an(other) entity werden in IFRS 10 durch die Begriffe "Investor" (investor) und "Beteiligungsunternehmen" (investee) ersetzt. Der Begriff reporting entity (Berichtseinheit) wurde in das Rahmenkonzept 2018 überführt und bezeichnet Unternehmen, die einen Abschluss erstellen (RK 3.10). Im Fall eines Konzernabschlusses umfasst die Berichtseinheit (reporting entity) sowohl das den Konzernabschluss aufstellende Mutterunternehmen als auch alle konsolidierten Tochterunternehmen (RK 3.11). Insofern hat IFRS 10 davon abgesehen, denselben Begriff in einem anderen Kontext (nämlich der Beherrschung) zu verwenden. Dabei wird im Rahmenkonzept auch klargestellt, dass die Berichtseinheit (reporting entity) nicht an legale Gesellschaften gebunden ist (RK 3.13), sondern sich an den Informationsbedürfnissen der Adressaten orientiert (RK 3.14). In Tz. 21 der Invitation to Comment des ED of proposed Improvements to International Accounting Standards 2002 wurde bspw. ausgeführt, dass der IASB den Begriff enterprise durch den neutraleren Begriff entity ersetzt hat, damit die Standards von allen gewinnorientierten Unternehmen, die Abschlüsse für allgemeine Zwecke aufstellen, angewendet werden. Der Begriff entity ist dementsprechend deutlich umfassender als bspw. der Begriff company. So sind bestimmte nicht rechtsfähige Vereinigungen (unincorporated associations bzw. unincorporated entities, IAS 27.4 (amend. 2008)) oder die im US-amerikanischen Rechtskreis häufig vorzufindenden trusts – eine bestimmte Form von Treuhandverhältnissen – keine companies; sie zählen aber unzweifelhaft zu den entities.
Tz. 44a
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Vor diesem Hintergrund ist die Intention des IASBs zu verstehen, einen möglichst umfassenden Begriff bei der Bestimmung der Beherrschung zu verwenden. Da der Begriff der Berichtseinheit (reporting entity) nicht an legale Gesellschaften gebunden ist (RK 3.13), kann auch der zugrunde liegende Begriff des Unternehmens nicht an legale Gesellschaften gebunden sein. Im gemeinsam mit dem FASB veröffentlichte Entwurf ED/2010/2 – Conceptual Framework for Financial Reporting: The Reporting Entity wurde im Zusammenhang mit dem Konzept der Berichtseinheit die entity auch als wirtschaftliche Aktivitäten (area of economic activities) umschrieben. Das Rahmenkonzept verlangt daher, dass die Berichtseinheit (reporting entity) nicht durch eine unvollständige Darstellung der wirtschaftlichen Aktivitäten begrenzt sein dürfe (RK 3.14). Dieser Grundgedanke konkretisiert sich im IFRS 10 bspw. in den Regelungen zu Silos (zu Silos vgl. Tz. 46). Ein Investor muss bei der Beurteilung, ob dieser ein Beteiligungsunternehmen beherrscht, auch in Betracht ziehen, dass dieser nur einen Teil des Beteiligungsunternehmens beherrscht (IFRS 10.B76), nämlich eine bestimmte Gruppe von Vermögenswerten und Schulden innerhalb einer rechtlichen Einheit (IFRS 10.BC147). Hierfür führte IFRS 10 den Begriff des "Silos" ein.