Prof. Dr. Corinna Ewelt-Knauer, Dr. Julian Höbener
Tz. 27
Stand: EL 43 – ET: 03/2021
Mit Blick auf das erste Kontrollkriterium – Recht auf im Wesentlichen den gesamten wirtschaftlichen Nutzen (obtain substantially all of the economic benefits) – muss beurteilt werden, ob der Kunde bzw. potenzielle Leasingnehmer tatsächlich "die Früchte" aus seiner Verwendung des Vermögenswertes ernten kann. Dabei ist zu beachten, dass ein Kunde auf vielfältige Weise wirtschaftlichen Nutzen aus der Verwendung eines Vermögenswertes ziehen kann. So kann er einen Vermögenswert bspw. selbst im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit nutzen (using), ihn halten (holding) oder ihn an Dritte untervermieten (subleasing) (IFRS 16.B21).
Hinsichtlich eines potenziellen Outputs ist der wirtschaftliche Nutzen, der aus dem Vermögenswert gezogen werden kann, nicht auf das Hauptprodukt begrenzt, sondern vielmehr sind auch wirtschaftliche Nutzenpotenziale aus Neben- oder Kuppelprodukten zu beachten (IFRS 16.B21). Dabei kann die wirtschaftliche Nutzenziehung sowohl auf physischem Output als auch auf immaterieller Verwendung des Leasingobjekts wie der Speicherung oder Übertragung von Daten basieren (vgl. so auch Ganssauge/Klockmann/Alymov, WPg 2016, S. 739). Zudem ist auch sonstiger wirtschaftlicher Nutzen, der im Rahmen eines Geschäfts mit Dritten realisiert werden könnte, zu berücksichtigen (IFRS 16.B21). Auch ist hervorzuheben, dass nicht nur unmittelbare Zahlungsströme bei der Bestimmung des Nutzens zu erfassen sind, wie bspw. Erlöse aus dem Verkauf von auf dem Leasingobjekt produzierten Gütern, sondern – nach der hier vertretenen Auffassung – auch mittelbare Zahlungsströme antizipiert werden müssen, bspw. resultierend aus Reputationsgewinnen, Gewinnen von Marktanteilen oder sonstigen Ausstrahlungseffekten oder Effizienzvorteilen.
Dabei ist auch eine wirtschaftliche Nutzenziehung aus dem reinen Halten (holding) des Vermögenswertes zunächst weniger offensichtlich, da dies gerade nicht zu unmittelbaren Zahlungsströmen führen wird. In diesem Fall kann sich der wirtschaftliche Nutzen allerdings darin äußern, dass der angemietete Vermögenswert im Bedarfsfall unmittelbar zur Verfügung steht (vgl. Dollereder, 2018, S. 81f.). Der wirtschaftliche Nutzen kann in diesem Zusammenhang auch darin bestehen, den Zugang zu einer knappen Ressource für Wettbewerber zu sperren, sodass der wirtschaftliche Nutzen als defensive value iSd. IFRS 13.30 verstanden werden kann (vgl. IASB, Staff Paper 3A "Leases: Definition of a Lease" (October 2014), Tz. 39 (c); Dollereder, 2018, S. 82).
Ausdrücklich zu betonen ist ferner, dass ein potenzieller wirtschaftlicher Nutzen, der aus dem rechtlichen Eigentum an dem Vermögenswert resultiert, explizit nicht zu beachten ist, da das rechtliche Eigentum im Rahmen eines Leasingverhältnisses gerade nicht übertragen wird (IFRS 16.BC118). Folglich ist lediglich der wirtschaftliche Nutzen aus der "Verwendung" des Vermögenswertes zu berücksichtigen.
Beispiel – Wirtschaftliche Nutzenziehung aus einer Solaranlage:
Sachverhalt: LN erwirbt das Recht, über einen Zeitraum von 20 Jahren den gesamten Strom einer neu errichteten Solaranlage zu beziehen. Dem Eigentümer der Solaranlage werden unabhängig von der Verwendung der Solaranlage im Rahmen der Förderung erneuerbarer Energien Steuervergünstigungen gewährt. LN erhält zudem produktionsmengenabhängige Subventionen im Rahmen der Nutzung.
Beurteilung: LN bezieht die vollständige Menge an produziertem Strom sowie die Subventionen in Abhängigkeit der Produktionsmenge, die als Nebenprodukt einzustufen sind. Die mit dem Eigentum der Solaranlage verbundenen Steuervergünstigungen sind hingegen für die Beurteilung, ob LN Recht auf im Wesentlichen den gesamten wirtschaftlichen Nutzen aus der Solaranlage hat, unbeachtlich. LN hat folglich Anspruch auf den gesamten wirtschaftlichen Nutzen (IFRS 16.IE2 Example 9A (a); vgl. auch Bardens/Kroner/Meurer, KoR 2016, S. 387).
Tz. 27a
Stand: EL 43 – ET: 03/2021
Bei der Bestimmung der möglichen wirtschaftlichen Nutzenziehung sind vertraglich vereinbarte Restriktionen, dh. insbesondere vereinbarte Schutzrechte des potenziellen Leasinggebers, zu beachten (IFRS 16.B22 iVm. IFRS 16.B30), wenn diese eine ökonomische Substanz aufweisen. Ist bspw. die Nutzung eines Fahrzeugs regional beschränkt, so darf nur der wirtschaftliche Vorteil aus der Nutzung des Fahrzeugs innerhalb dieser Region betrachtet werden (IFRS 16.B22 (a)). Ebenso sind Kapazitätsbeschränkungen denkbar, wie bspw. die Beschränkung der Nutzung eines Fahrzeugs auf eine bestimmte Kilometerzahl innerhalb des Verwendungszeitraums (IFRS 16.B22 (b)). Der mögliche wirtschaftliche Nutzen beschränkt sich in einem solchen Fall folglich auf den verbleibenden Nutzungsumfang, der dem potenziellen Leasingnehmer zusteht (IFRS 16.B22; vgl. auch Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe IFRS-Kommentar, 18. Aufl., § 15a, Tz. 53; Dutzi/Dücker/Werner, DK 2018, S. 487). Eine nicht vertragskonforme oder sonstige regelwidrige Nutzung – mithin eine mögliche Nutzenziehung, die aus einem Vertragsbruch resu...