Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
a. Voraussetzungen
Tz. 70
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Das erste Kriterium bei der Beurteilung von Beherrschung ist die Verfügungsgewalt (power) des Investors über das Beteiligungsunternehmen. Gemäß IFRS 10.10 und B9 verfügt ein Investor über die Verfügungsgewalt, sofern er über eine Rechtsposition verfügt, die ihm gegenwärtig die Steuerung der maßgeblichen Tätigkeiten des Beteiligungsunternehmens ermöglicht. Die Rechtsposition umfasst dabei die Gesamtheit der einzelnen Rechte, die dem Investor gegenüber dem Beteiligungsunternehmen zustehen (zB Stimmrechte und/oder vertragliche Rechte). Die Bestimmung von Verfügungsgewalt iSd. IFRS 10 hat damit zwei entscheidende Aspekte:
- Bestimmung der maßgeblichen Tätigkeiten (vgl. hierzu Tz. 74 ff.);
- Analyse der vorliegenden Rechte, ob (schriftlich fixierte) Entscheidungsbefugnisse bestehen, die in ihrer Gesamtheit die Steuerung der maßgeblichen Tätigkeiten ermöglichen.
Tz. 71
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Verfügungsgewalt kann dabei auf Stimmrechten oder vertraglichen Vereinbarungen basieren. Da Entscheidungsbefugnisse grundsätzlich nur auf Grundlage von vertraglichen oder gesellschaftsrechtlichen Vereinbarungen begründet werden, ist es regelmäßig ausreichend, eine Analyse der Rechtsposition (als Summe der vertraglichen Vereinbarungen) vorzunehmen, um die Entscheidungsbefugnisse des Investors auf die maßgeblichen Tätigkeiten des Beteiligungsunternehmens zu beurteilen. Nur in Ausnahmefällen werden praktische Fähigkeiten der Einflussnahme und Einflussnahme aufgrund besonderer Beziehungen relevant sein. Verfügungsgewalt kann dabei mittelbar, zB durch Organbestellungsbefugnisse gegenüber dem Entscheidungsträger (IFRS 10.B15 (b) und (c)), oder unmittelbar, zB durch vertragliche Entscheidungsbefugnisse (IFRS 10.B15 (d) und (e)), vorliegen. Gemäß IFRS 10 kann eine hohe Risikobelastung durch schwankende Renditen als Indikator dafür angesehen werden, dass Verfügungsgewalt vorliegt (IFRS 10.B20, vgl. Tz. 132, zum Element der schwankenden Renditen vgl. Tz. 143 ff.).
Tz. 72
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Unter bestimmten Bedingungen kann die Verfügungsgewalt auch gegeben sein, wenn der Investor an der Gründung oder Initiierung eines strukturierten Unternehmens beteiligt ist, da der Investor dadurch über die Möglichkeit sowie über Anreize verfügt, sich entsprechende Entscheidungsbefugnisse einzuräumen (vgl. Tz. 139 ff.). Der Investor kann auch dann die Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen haben, wenn andere Parteien über gegenwärtige Rechte am Beteiligungsunternehmen verfügen, mit denen sie an der Bestimmung der maßgeblichen Tätigkeiten teilhaben können, ohne diese (gemeinsam mit dem Investor) zu beherrschen. In diesem Fall verfügen die anderen Parteien ggf. über einen maßgeblichen Einfluss iSd. IAS 28 (IFRS 10.14 iVm. IAS 28.3), während der Investor über die Verfügungsgewalt iSd. IFRS 10 verfügt.
Tz. 73
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Charakteristisch für das Beherrschungskonzept in IFRS 10 ist, dass allein darauf abgestellt wird, ob das Mutterunternehmen über Verfügungsgewalt bzw. (ein Anrecht auf) schwankende Renditen verfügt. Ob diese Rechte auch tatsächlich ausgeübt werden, ist nicht relevant. Entscheidend ist vielmehr, ob der Investor die Steuerung der maßgeblichen Tätigkeiten durch unilaterale Entscheidungen durchsetzen kann, ohne dass dies von Dritten verhindert werden kann (zur faktischen Beherrschung vgl. Tz. 85 ff.). Die tatsächliche Steuerung der maßgeblichen Tätigkeiten durch den Investor in der Vergangenheit ist in diesem Zusammenhang lediglich ein Indikator für das Vorliegen von Verfügungsgewalt (IFRS 10.12). Ein Beispiel hierzu findet sich im ESMA Report, 24th extract, decision ref. EECS/0120–04, Tz. 29 bis 44: Ein berichtendes Unternehmen (der Investor) argumentierte, es habe nicht die praktische Möglichkeit, die relevanten Aktivitäten des Beteiligungsunternehmens zu steuern, da es nicht die Mehrheit im Leitungs- und Kontrollgremium innehabe. In dem Fall hatte der Investor lediglich auf der Hauptversammlung eine Stimmrechtsrechtsmehrheit, da regelmäßig nicht alle (weit gestreuten) Investoren an der Hauptversammlung teilnahmen. Die Aufsichtsbehörde vertrat die Auffassung, dass die gegenwärtige Fähigkeit zur Besetzung des Leitungs- und Kontrollgremiums maßgeblich sei, auch wenn der Investor diese Rechte noch nicht ausgeübt hat (IFRS 10.12). Damit sei die aktuelle Zusammensetzung des Leitungs- und Kontrollgremiums nicht relevant. Der Investor habe die praktische Fähigkeit zur einseitigen Lenkung der maßgeblichen Tätigkeiten (IFRS 10.B18). Zudem hatte in diesem Fall der Investor und das Beteiligungsunternehmen denselben CEO und CFO (IFRS 10.B18).
Tz. 73a
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Das Beherrschungskonzept nach IFRS 10 stimmt weitestgehend mit dem Beherrschungskonzept nach § 290 HGB überein (vgl. BR-Drucks. 344/08 v. 23.05.2008, S. 170f. sowie zum Beherrschungskonzept nach § 290 HGB Baetge/Kirsch/Thiele, 14. Aufl., S. 90ff.), allerdings kann es in Einzelfällen zu Abweichungen zwischen IFRS und HGB kom...