Clemens Jungsthöfel, Katharina Rohde
Tz. 192
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Der IFRS 17 sah für Zwecke der erstmaligen Bewertung des Bestandes der versicherungstechnischen Rückstellungen nach neuer Rechnungslegung drei Methoden vor (vgl. Tz. 133–138):
- FRA/Full Retrospective Approach,
- MRA/Modified Retrospective Approach,
- FVA/Fair Value Approach.
Tz. 193
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die Wahl des Transition Approach erfolgt grundsätzlich auf granularer Ebene der GIC. In der Praxis kamen zwar für einen Gesamtbestand eines Versicherungsunternehmens idR durchaus mehrere Ansätze zum Einsatz, allerdings wurden meist mehrere GICs mit gleichartigen Rahmenbedingungen konsistent nach einer Methodik erfasst.
Der FRA (vgl. Tz. 134) verfolgte den Anspruch, die erstmalige Erfassung nach IFRS 17 auf der Grundlage einer kompletten rückwirkend durchlaufenen Bewertung zu vollziehen – als wenn der IFRS 17 schon bei Aufnahme des Geschäftes in Kraft gewesen wäre. Dieser Ansatz erforderte also ein Maximum an (historischer) Datengranularität und konnte – wenn überhaupt – meist nur in jüngeren cohorts zur Anwendung kommen.
Als Alternativen standen der MRA und FVA als gleichwertige Optionen zur Verfügung. Während der MRA (vgl. Tz. 136) zwar für ausgewählte Sachverhalte Vereinfachungen bot, charakterisiert er sich weiterhin durch den Anspruch, einem Ansatz nach FRA so nah wie möglich zu kommen. Da zudem die vorgesehenen Erleichterungen klar limitiert sind und kaum individuelle Ausgestaltung zulassen, erschien der MRA oft genug als schwer umsetzbar und kaum vorteilhafter als der FRA.
Tz. 194
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Der FVA (vgl. Tz. 136) verzichtet im Wesentlichen komplett auf Rückgriffe auf eine retrospektive as-if-Sicht und simuliert vielmehr die Transaktion eines Bestandes zu aktuellen Annahmen. Die CSM ermittelt sich somit als "Preis" für die Übernahme der versicherungstechnischen Risiken, somit die damit verbundenen Kapital- und Verwaltungskosten reflektierend. Rein mechanisch ergibt sich die CSM also als Aufschlag auf die fulfilment cash flows des Versicherungsunternehmens, um einen marktüblichen Erfüllungsbetrag abzubilden. Die Annahmen zu einem solchen "fair value" können signifikant von den Kalkulationsgrößen des Versicherungsunternehmens abweichen. Die Interpretation der CSM wandelt sich somit: Die CSM spiegelt nicht mehr die Profiterwartung des Versicherungsunternehmens wider, sondern vielmehr die Margenanforderung eines fiktiven Marktteilnehmers.
Tz. 195
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Selbstverständlich sind Methoden und Annahmen nachvollziehbar und konsistent zu wählen (vgl. Tz. 121). Dennoch bietet der FVA somit deutlich mehr Möglichkeiten, auf das individuelle Geschäftsmodell einzugehen. Der FVA fand daher in der Praxis in allen Sparten umfangreiche Anwendung. In der Umsetzung ergibt sich potenziell große Variabilität, die eine Vergleichbarkeit erschweren. Die Simulation eines "fair value"-Preises – bei kaum tatsächlich vorhandenen "Marktpreisen" für die Transaktion von Versicherungsbeständen – ermöglicht eine signifikante Bandbreite an möglichen CSM-Positionierungen zum Zeitpunkt der Transition. Der Nachweis zur Nachhaltigkeit und das Vermögen eines Unternehmens, diesen Bestand (mindestens) zu halten oder aber begründet abzubauen, wird Gegenstand der Stabilisierungsphase in der IFRS 17-Berichterstattung sein.
Tz. 196
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Neben einem grundsätzlich anderen Ansatz der CSM sieht der FVA noch eine weitere (optionale) Besonderheit vor (vgl. Tz. 137): Für Anwender der OCI-Option ist es zulässig (allerdings nicht zwingend erforderlich), dass die locked-in-Zinsen auf den Zeitpunkt der Transition referenziert werden. Im FRA und MRA ist der Beginn der Vertragslaufzeit der Bezugspunkt für die locked-in-Zinsen bzw. zumindest eine möglichst genaue Approximation zu finden. Bei Ausübung dieses Wahlrechts ergibt sich zum Zeitpunkt der Transition ein OCI-Bestand von 0 (= der Differenz der FCF bewertet zu locked-in einerseits vs. aktuellen Zinsen andererseits). Konsequenterweise ist in der Folgebewertung die interest accretion innerhalb des finance results zum Zinsniveau zum Transition-Zeitpunkt abzubilden. Die Wahl des transition approaches hat hier also unmittelbaren Einfluss auf die Ertragskraft des Unternehmens weit über den Übergangszeitpunkt zum IFRS 17 hinaus und vollkommen unabhängig von der unterliegenden technischen Profitabilität.
Tz. 197
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die Einführung des Standards fiel in eine Zeit historisch niedriger Zinsen. Für langabwickelnde Portfolien mit nach wie vor hohen Reservebeständen hätte eine Referenz der locked-in-Zinsen auf das Niveau zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns eine hohe Belastung auf die Erträge zukünftiger Perioden gelegt – ohne ökonomische Rechtfertigung, ggf. sogar eine Verzerrung der Profitabilität erwirkend. Dies wurde bei Ausübung des geschilderten Wahlrechts unterbunden und somit ein unverstellter Blick auf die Ertragslage des Unternehmens ermöglicht. Darüber hinaus entspricht diese Regelung auch der Realität eines vorauss...