Prof. Dr. Christian Fink, Dr. Fedor Zeyer
Tz. 75
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Neben den Vereinfachungen für öffentlichen Stellen nahestehende Unternehmen und Personen ist auch auf die Angabepflichten des IAS 24 der allgemeine Grundsatz der Wesentlichkeit (materiality) anzuwenden. Selbiges gilt für die Nebenbedingung der Kostenbegrenzung (cost constraint), wonach bestimmte Angaben unterlassen werden können, sofern der Nutzen aus einer Information die Kosten ihrer Beschaffung nicht rechtfertigt (CF.2.39). Die Anwendung des Wesentlichkeitsgrundsatzes entsprechend dem conceptual framework ist insbesondere im Hinblick auf die Angabepflichten zu nahestehenden Unternehmen und Personen geboten, da die entsprechenden Angaben aufgrund des oftmals weitreichenden Beziehungsgeflechts der Unternehmen meist für einen information overload beim Abschlussadressaten prädestiniert sind (vgl. ähnlich auch Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, 2019, § 30, Tz. 46). Um somit die Überfrachtung des Anhangs mit nicht entscheidungsrelevanten Angaben zu vermeiden und auf diese Weise den Informationsnutzen des Abschlusses zu steigern, ist eine Beschränkung der Angaben anhand des Wesentlichkeitsgrundsatzes unverzichtbar. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine Entscheidung darüber, ob beispielsweise ein Geschäftsvorfall wesentlich ist, nicht lediglich aus monetärer Sicht zu treffen ist. Nach IAS 1 wird die Wesentlichkeit einer Angabe angenommen, wenn unter normalen Umständen davon auszugehen ist, dass ein Unterlassen der Angabe, eine falsche Darstellung oder das Verschleiern der Information die Entscheidungen des Hauptabschlussadressaten in Bezug auf das Unternehmen beeinflussen würde. Damit ist die Wesentlichkeit integraler Bestandteil der Relevanz, die sich aus der spezifischen Situation des berichtenden Unternehmens ergibt. Entsprechend sind auch qualitative Faktoren in die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Information einzubeziehen (zu einem Beispiel hierzu vgl. Hoffmann, PiR 2017, S. 62). So ist es beispielsweise wahrscheinlich, dass eine Transaktion, die zu marktunüblichen Konditionen – und damit meist zum Vorteil eines der beiden Transaktionspartner – abgewickelt wurde, für den Informationsadressaten von Interesse und daher wesentlich ist (vgl. auch Ernst & Young, 2020, 2.5.1). Dies kann dazu führen, dass jede Transaktion zwischen nahestehenden Personen und Unternehmen, deren Angabe als sensibel angesehen wird, zB aus steuerlichen Gründen, per definitionem als wesentlich anzusehen ist, da ihre Angabe für einen bestimmten Abschlussadressaten – hier den Fiskus – wesentlich ist. Insoweit kann eine Angabe nicht zwingend mit dem Argument vermieden werden, dass die Beträge unwesentlich sind. Eine rein finanzielle Wesentlichkeitsbetrachtung wäre demnach nicht sachgerecht. Dies unterstreicht auch das im September 2017 veröffentlichte Practice Statement 2 "Making Materiality Judgements" des IASB, das die Beteiligung einer nahestehenden Partei als unternehmensspezifischen qualitativen Faktor im Rahmen der Wesentlichkeitsbeurteilung einer Transaktion aufführt. Allerdings sei zur Einordnung des Practice Statement 2 darauf hingewiesen, dass dieses weder einen Standard noch eine Interpretation der IFRS darstellt und ihm entsprechend auch kein formaler Verbindlichkeitscharakter innewohnt. Vielmehr dient das Practice Statement 2 der Unterstützung des bilanzierenden Unternehmens bei der Wesentlichkeitsbeurteilung.
Ein wichtiger Faktor in Bezug auf Wesentlichkeitsentscheidungen bzgl. der Angabepflichten ist auch die Frage, aus wessen Sicht der Geschäftsvorfall wesentlich ist – für das berichtende Unternehmen oder den Transaktionspartner. Hierbei ist eine Beschränkung auf eine der beiden Seiten nach der hier vertretenen Auffassung nicht zielführend. Auch ein für das berichtende Unternehmen unwesentlicher Geschäftsvorfall kann demnach der Berichtspflicht unterliegen, wenn er für den Transaktionspartner wesentlich ist.
Beispiel 23:
Herr A hält 100 % der B GmbH und beherrscht diese. Die berichtende B GmbH verfügt über ein Eigenkapital in Höhe von 250.000 Euro. Zum Ende des Geschäftsjahres 20X1 gewährt Herr A der B GmbH ein Darlehen in Höhe von 1.000.000 Euro. Die Laufzeit des Darlehens beträgt 5 Jahre, die Tilgung erfolgt halbjährlich in gleichen Teilen, der Zinssatz beträgt 3,5 %. Bei ihrer Hausbank würde die B GmbH einen entsprechenden Kredit zu vergleichbaren Konditionen erhalten.
Da sich Herr A und die B GmbH aufgrund des Beherrschungsverhältnisses nahestehen, unterliegt der Geschäftsvorfall der Berichtspflicht gem. IAS 24. Nachdem das Darlehen des Herrn A das Eigenkapital der B GmbH um das Dreifache übersteigt, ist der vorliegende Sachverhalt zudem allein aufgrund des Umfangs des Geschäftsvorfalls als wesentlich zu erachten.
Beispiel 24:
Die A GmbH wird durch einen einzigen Anteilseigner, Herrn A, beherrscht, der 100 % ihrer Anteile hält. Herr A ist zudem Mitglied der Unternehmensleitung in einer Schlüsselposition der B GmbH. Die B GmbH ist ein strategisch wichtiger Zulieferbetrieb der A GmbH. Währe...