Prof. Dr. Hans-Jürgen Kirsch, Moritz Nonnast
Tz. 19
Stand: EL 47 – ET: 06/2022
Die Definition eines biologischen Vermögenswerts (biological asset) ist explizit auf lebende Tiere und Pflanzen beschränkt (IAS 41.5). Nach mehrheitlicher Auffassung im Schrifttum sind dabei bspw. lebende Viren, Bakterien oder Blutzellen, die im Labor gezüchtet werden, nicht im Anwendungsbereich von IAS 41 (vgl. statt vieler Deloitte, iGAAP 2020, Kap. A38, Tz. 2–1; EY, International GAAP 2021, Kap. 42, Tz. 2.3.1; PwC, Manual of accounting 2021, FAQ 33.4.2). Diese Auslegung ist uE zutreffend, da die Formulierungen sowie die in IAS 41 enthaltenen Beispiele von im allgemeinen Verständnis "klassischen" landwirtschaftlichen Tätigkeiten ausgehen und eine Einbeziehung bspw. von Bakterien in den Anwendungsbereich von IAS 41 nicht unerhebliche Implikationen für nicht der Landwirtschaft zuzuordnenden Branchen – va. der Pharmaindustrie – hätte. Dass dies gewollt ist, geht weder aus IAS 41 noch aus den Anhängen zu diesem Standard hervor. Entsprechend lässt sich ableiten, dass der Anbau von Speisepilzen sehr wohl eine landwirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von IAS 41 darstellt, obwohl die Pilze selbst in der biologischen Klassifikation neben Pflanzen und Tieren eine eigenständige Kategorie bilden.
Tz. 20
Stand: EL 47 – ET: 06/2022
Die Fähigkeit zur biologischen Transformation unterscheidet Tiere und Pflanzen von anderen Produktionsfaktoren und va. auch von landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Ein biologischer Vermögenswert, bei dem eine biologische Transformation nicht mehr erfolgen kann, ist nicht "lebend" im Sinne der Definition des IAS 41. Der Umstand, dass landwirtschaftliche Erzeugnisse nach der Ernte idR einer weiteren Transformation unterliegen, führt nicht zur Klassifizierung als biologischer Vermögenswert. Werden bspw. Weintrauben bzw. Äpfel nach der Ernte zu Wein bzw. Apfelmus weiterverarbeitet, unterliegen sie zwar einem Veränderungsprozess. Dieser beruht definitionsgemäß jedoch nicht mehr auf einer biologischen Transformation (IAS 41.3; vgl. Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, in: Haufe IFRS-Kommentar, 19. Aufl., § 40, Tz. 6). Mithin sind Produkte aus der Weiterverarbeitung (im vorliegenden Beispiel Weintrauben bzw. Äpfel) regelmäßig als Vorräte iSv. IAS 2 einzustufen (vgl. Tz. 15).
Tz. 21
Stand: EL 47 – ET: 06/2022
Neben der Unterteilung in Tiere und Pflanzen können biologische Vermögenswerte in IAS 41 weiterhin in Bezug auf ihre Funktion und ihren Reifegrad differenziert werden (vgl. hier und im folgenden Satz Pier, 2015, S. 65). Hinsichtlich der Funktion kann gem. IAS 41.44 zwischen konsumierbaren (consumable) biologischen Vermögenswerten einerseits und tragenden (bearer) biologischen Vermögenswerten andererseits unterschieden werden. Konsumierbare Tiere und Pflanzen sind solche, die als landwirtschaftliche Erzeugnisse geerntet oder als biologische Vermögenswerte verkauft werden sollen. Tragende biologische Vermögenswerte sind gem. IAS 41.44 jene biologische Vermögenswerte, die keine konsumierbaren biologischen Vermögenswerte sind, wie bspw. Milchviehbestand. Existieren mehrere Generationen eines biologischen Vermögenswerts, kann gem. IAS 41.45 zudem anhand des jeweiligen Reifegrads differenziert werden. Reife biologische Vermögenswerte sind solche, die den Erntegrad erreicht haben (bei konsumierbaren biologischen Vermögenswerten) oder gewöhnliche Ernten tragen (bei tragenden biologischen Vermögenswerten). Unreife biologische Vermögenswerte werden in IAS 41 nicht explizit definiert. Aufgrund der Formulierung "Biological assets may be classified either as mature […] or immature biological assets." in IAS 41.45 ist gleichwohl davon auszugehen, dass sämtliche biologische Vermögenswerte, die nicht den Anforderungskriterien von reifen biologischen Vermögenswerten genügen, als "unreif" iSv. IAS 41 klassifiziert werden dürfen.