Prof. Dr. Bettina Thormann, Prof. Dr. Marius Gros
Tz. 109
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Sofern konkrete Anhaltspunkte für einen erheblichen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften vorliegen, kommen der BaFin besondere Durchsetzungsrechte zu. Wenn erforderlich, dürfen Bedienstete der BaFin Geschäfts- und Wohnräume durchsuchen. Sie dürfen Gegenstände sicherstellen oder ggf. beschlagnahmen, sofern diese als Beweismittel für die Ermittlung des Sachverhalts von Bedeutung sein können und nicht freiwillig herausgegeben werden. Voraussetzung ist neben der Erforderlichkeit und konkreten Anhaltspunkten für einen erheblichen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften, die Anordnung durch einen Richter, außer bei Gefahr im Verzug. Zuständig ist das Amtsgericht Frankfurt am Main. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen, die die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und ihr Ergebnis zu enthalten hat (§ 107 Abs. 7 WpHG).
Tz. 109a
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Die unter Tz. 109 erörterten besonderen Durchsetzungsrechte der BaFin sind an die Erheblichkeit eines möglichen Verstoßes gegen Rechnungslegungsvorschriften geknüpft. Ausweislich der Regierungsbegründung zum FISG ist ein Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften erheblich "wenn er aus Sicht der Kapitalmarktteilnehmer für die Bewertung des Unternehmens von wesentlicher Bedeutung ist." Die Wesentlichkeit könne sich aus qualitativen oder quantitativen Aspekten ergeben, "also aus der Art der betroffenen Information oder aus den betragsmäßigen Auswirkungen von Unregelmäßigkeiten". Für die Beurteilung komme es darauf an, "ob sich der Verstoß in Bezug auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens auswirkt und somit die hieraus ableitbaren Einschätzungen der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens beeinflussen kann" (RegE FISG, BT-Drucks. 19/26966, S. 78, alle Zitate, mit Verweis auf OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Februar 2019 – WpÜG 3/16).
Tz. 109b
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Zwecksetzung der mit dem FISG deutlich ausgeweiteten Durchsetzungsrechte ist, in Fällen mit konkreten Anhaltspunkten für Bilanzmanipulationen, der BaFin "die erforderlichen Mittel für eine forensische Prüfung und eine effektive Bilanzkontrolle an die Hand" zu geben. Dabei sei zu berücksichtigen, "dass ein hohes Gemeinwohlinteresse daran bestehe, Fälle von Bilanzmanipulation zu verhindern respektive frühzeitig aufzudecken, um die Integrität des deutschen Kapitalmarkts und damit auch die Reputation des Finanzstandortes Deutschlands zu schützen." (RegE FISG, BT-Drucks. 19/26966, S. 78, beide Zitate, siehe hierzu auch Hanenberg/Kostjutschenkow, BaFin-Journal Dezember 2021, S. 16).
Tz. 109c
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Hierzu sei es erforderlich, eine Möglichkeit zur Durchsuchung und Beschlagnahme auch außerhalb der Voraussetzungen der Strafprozessordnung vorzusehen, da Strafverfahren anders als das Enforcement primär auf die Klärung eines individuellen Schuldvorwurfs gerichtet seien. Dies gelte "auch und gerade dann, wenn sich die strafrechtliche Relevanz mutmaßlicher Rechnungslegungsfehler erst im Nachhinein bzw. im Laufe der von der BaFin durchgeführten Sachverhaltsaufklärung erweist" (RegE FISG, BT-Drucks. 19/26966, S. 79). Eine Einschränkung der Durchsetzungsrechte der BaFin erfolgt lediglich, wenn konkrete Anhaltspunkte zugleich einen strafrechtlichen Anfangsverdacht begründen. In diesem Fall schränkt der § 110 Abs. 1 WpHG die Befugnisse der BaFin partiell ein, indem ein klarer Vorrang des staatsanwaltlichen Verfahrens geregelt sowie ein Inkenntnissetzen der Strafverfolgungsbehörde und die Herstellung von Einvernehmen über die Maßnahmen der BaFin gefordert werden (vgl. RegE FISG, BT-Drucks. 19/26966, S. 79, vgl. auch Tz. 136).