Clemens Jungsthöfel, Katharina Rohde
Tz. 198
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Der IFRS 17 führt das Risk Adjustment (RA) als explizite Reserveposition zur Abdeckung sog. non-financial risks ein (vgl. Tz. 67–72). Insbesondere sollen dabei Unsicherheiten in Höhe und Zeitpunkt der Realisierung der versicherungstechnischen Rückstellungen mitigiert werden. Im Vergleich zu vergleichbaren Konzepten (zB der SII-Risikomarge) lässt der IFRS 17 in der Umsetzung größere Freiheiten. Insgesamt erscheint das Risk Adjustment innerhalb des Standards als feature mit außergewöhnlich wenig Vorgaben – während andere Aspekte mit einer Reihe von komplexen Vorgaben zur Mechanik etabliert werden. Im Wesentlichen wird lediglich die Einhaltung folgender intuitiver Charakteristiken gefordert (IFRS17.B91):
- Frequency/Severity: Risiken mit niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit aber hohem Schadenpotenzial sollten mit höherem Risk Adjustment belegt werden als solche Risiken, die mit hoher Frequenz aber niedrigem Schadenpotenzial eintreten.
- Duration: Gegeben zwei Verträge mit gleichartigen Risiken sollte derjenige mit höherer Duration auch mit einem höheren Risk Adjustment versehen werden.
- Varianz: Risiken mit hoher Varianz sollten mit höherem Risk Adjustment belegt werden als Risiken mit niedriger Varianz.
- Unknowns: Je weniger über die Charakteristik der versicherten Risiken und die Robustheit des aktuell ermittelten Best Estimates bekannt ist, desto höher sollte das Risk Adjustment gewählt sein.
- Experience: Je mehr (historische) Erfahrungswerte für die gedeckten Risiken vorliegen und diese die Unsicherheiten zu Höhe und Zeitpunkt der Materialisierung der versicherungstechnischen Rückstellungen mindern, desto weniger Risk Adjustment sollte hinterlegt werden.
Der Ausweis eines Konfidenzniveaus zur Positionierung des Risk Adjustments ist außerdem obligatorisch (vgl. Tz. 121, IFRS 17.B92).
Tz. 199
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die genannten Leitlinien lassen sich durch eine Reihe von Konzepten erfüllen. Verbreitet sind folgende Methoden:
- Cost of Capital-Ansatz,
- (Pricing-)Margen-Ansatz,
- Konfidenzniveau-Ansatz.
Kapitalkosten und (Pricing-)Margenanforderungen sowie das gewählte Exposure-Maß (zum Beispiel Solvenzkapital, Own funds, Prämien) sind Gegenstand sehr individueller Präferenzen und Rahmenbedingungen. Nicht alle Parameter sind transparent und die Bandbreite der ermittelten Risk Adjustments (etwa im Verhältnis zu den Best Estimate CF) ist hoch. Auch Referenzen zu aufsichtsrechtlich (etwa unter SII) ermittelten Risikomarge können irreführend sein, da der IFRS 17 einerseits die Stellung eines Risk Adjustments für operationelle Risiken ausschließt (IFRS 17.B89, unter SII obligatorisch) und andererseits Diversifikation innerhalb eines Konzerns zulässt (IFRS 17.B88 (a), während SII dies nur innerhalb von Gesellschaften einschließt).
Tz. 200
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Auch der Vergleich des vermeintlich objektiven Konfidenzniveaus kann keine verlässlichen Angaben zur Resilienz der einzelnen Versicherungsunternehmen liefern. Der Standard fragt das Konfidenzniveau des Risk Adjustments ab und ignoriert dabei die unterschiedlichen Präferenzen der Versicherungsunternehmen zur Positionierung des best estimates innerhalb der vom Standard aktuariell ermöglichten Range. Genauer definiert sich das auszuweisende Konfidenzniveau α somit als Wahrscheinlichkeit P, dass im Ultimate die realisierten Schadenzahlungen Z unter dem Erwartungswert zuzüglich des Risk Adjustments (RA) verbleiben.
α = P (Z ≤ E (Z) + RA)
Zunächst ist die Vergleichbarkeit durch die individuellen Annahmen zur Modellierung der zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsverteilung mindestens erschwert. Darüber hinaus ist in obiger vermeintlich mathematisch genauer Messung vollkommen ausgenommen wie resilient sich das Versicherungsunternehmen bereits im best estimate positioniert hat.
Klassischerweise begnügt sich kaum ein Versicherungsunternehmen mit der Übernahme eines mechanisch als Punktschätzer ermittelten Erwartungswertes, sondern preist Erfahrungswerte, individuellen Risikoappetit und aktuelle Marktentwicklungen in die Reservierung ein, die kaum Eingang in ein mathematisches Modell finden können. Ein vermeintlich niedriges Konfidenzniveau oder ein niedriger Anteil des Risk Adjustments (etwa an den gesamten fulfilment cash flow) ist bei weitem kein Indikator für kaum ausgeprägte Resilienz des Versicherungsunternehmens gegen adverse Entwicklungen.
Tz. 201
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die ursprüngliche Intention des Standards mit dem Risk Adjustment einen sichtbaren und objektiv messbaren Indikator für den Schutz gegen die Volatilität versicherungstechnischer Risiken zu schaffen, ist somit kaum einheitlich und vergleichbar umgesetzt. Nichtsdestotrotz ist dieses zusätzlich geschaffene Konstrukt für einige Versicherungszweige gleichwohl ein neu etabliertes und sehr starkes Werkzeug, um stabile und verlässlich prognostizierbare Erträge zu generieren – und unterliegende Schwankungen zu mitigieren.