Clemens Jungsthöfel, Katharina Rohde
Tz. 202
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Der Standard verfolgt in der Theorie eine vermeintlich mathematisch exakte Ermittlung des best estimates im Ausweis der fulfilment cash flows. Genauer werden folgende Ansprüche formuliert (IFRS 17.33):
- Unbiased probability-weighted mean of the full range of possible outcomes: Der best estimate ist auf Basis einer Wahrscheinlichkeitsverteilung zu ermitteln, die alle Szenarien der Realisierung der versicherungstechnischen Risiken adäquat abbildet.
- Aktualität: Der best estimate (und somit obige Wahrscheinlichkeitsverteilung) hat zu jedem Zeitpunkt alle Annahmen(-änderungen) zu berücksichtigen.
- Abgrenzung zum Risk Adjustment: Unsicherheiten in Höhe und Zeitpunkt der Realisierung versicherungstechnischer CFs sind ausschließlich im Risk Adjustment zu erfassen.
Tz. 203
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Auf der anderen Seite erkennt der Standard an (IFRS17.B36ff.), dass das Geschäftsmodell der Versicherungswirtschaft gerade davon lebt, auch unvorhersehbare Volatilität und unbekannte Risiken zu mitigieren, ohne dass das Unternehmen in Schieflage gerät oder gar der dem Versicherungsnehmer zugesagte Schutz nicht mehr gewährleistet werden kann. Eine Reservierung, die nur durch ein mechanisch mathematisches Modell unterlegt wird, ist nicht in der Lage, komplexen Risiken zu entgegnen, die zudem einer erheblichen Schnelllebigkeit in den Rahmenbedingungen aus Marktzyklen, Umwelt, Politik/Rechtsprechung, Makroökonomie/Gesellschaft ausgesetzt sind. Dies kann genauso wenig durch ein mechanisches Risk Adjustment abgedeckt werden. Actuarial judgement und der individuelle Risikoappetit des Unternehmens ist somit maßgeblich für die Positionierung des best estimates innerhalb einer nachvollziehbaren Bandbreite.
Es muss gerade im Sinne des Standards sein, die Attraktivität der Versicherungsbranche für Investoren dadurch zu stärken, dass zu jedem Zeitpunkt ein ausreichendes Resilienz-Niveau gewählt werden kann – und dies nicht durch dogmatisch getriebene Restriktionen limitiert wird. Die Positionierung innerhalb einer solchen sinnvollen Range und der Nachweis der Nachhaltigkeit derselben obliegt den Versicherungsunternehmen. Der Standard bietet im Rahmen der Anhangangaben eine Reihe von wertvollen Instrumenten (genauer: detaillierte Veränderungsanalysen, vgl. Tz. 116), um Transparenz und Vergleichbarkeit hinsichtlich des Reservierungsansatzes zu schaffen.