Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
a. Entscheidungsträger und delegierte Rechte
Tz. 155
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Das dritte Element der Beherrschung, das erfüllt sein muss, damit ein Investor ein potenzielles Tochterunternehmen beherrscht, ist, dass der Investor über die Möglichkeit verfügen muss, mit seiner Verfügungsgewalt (1. Element) die Höhe der schwankenden Renditen (2. Element) zu beeinflussen (IFRS 10.7). Ein Investor, der zwar über Verfügungsgewalt verfügt, aber nicht durch diese Verfügungsgewalt von den Renditen des Beteiligungsunternehmens profitieren kann, beherrscht das Beteiligungsunternehmen ebenso wenig wie ein Investor, der zwar schwankenden Renditen des Beteiligungsunternehmens ausgesetzt ist, diese aber nicht durch eigene Verfügungsgewalt beeinflussen kann. In vielen Fällen ist diese Verknüpfung von Verfügungsgewalt und schwankenden Renditen offensichtlich, sodass eine detaillierte Analyse dieses Elements des Beherrschungsbegriffs entbehrlich sein kann. Relevant wird dieses Kriterium allerdings vor allem dann, wenn der Investor Entscheidungsbefugnisse an ein Entscheidungsgremium oder eine Einzelperson (sog. Entscheidungsträger, zur Definition vgl. Tz. 22) abgegeben hat bzw. dies bereits bei Gründung festgelegt hat (zB Investmentkomitee, Fondsmanager oder Verwaltungsrat). In diesen Fällen ist regelmäßig zu untersuchen, ob der Investor anhand der (verbleibenden) Entscheidungsbefugnisse in der Lage ist, die schwankenden Renditen zu beeinflussen, oder ob dies aufgrund der an den Entscheidungsträger delegierten Rechte nicht mehr möglich ist. Insofern hat der Investor zu beurteilen, ob der eingesetzte Entscheidungsträger seine Entscheidungsbefugnisse als Prinzipal oder Agent ausübt. Ein Agent hat zudem zu beurteilen, ob dieser maßgeblichen Einfluss iSd. IAS 28 auf das Beteiligungsunternehmen ausübt (IFRS IC Update, Januar 2015, S. 10).
b. Beurteilung von Prinzipal-Agenten-Beziehungen
Tz. 156
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Ein Investor mit Entscheidungsbefugnissen in Bezug auf ein Beteiligungsunternehmen, der sog. Entscheidungsträger, hat zu beurteilen, ob er als Prinzipal oder als Agent einer anderen Partei handelt (IFRS 10.18 iVm. B58ff.). Dies ist insbesondere in den Fällen relevant, in denen Entscheidungsbefugnisse auf eine andere Partei übertragen oder delegiert wurden oder Investments zu Gunsten anderer gehalten werden. Ein Agent ist eine Partei, die überwiegend beauftragt wurde, im Namen und zum Vorteil einer oder mehrerer anderer Parteien (Prinzipal oder Prinzipale) zu handeln (IFRS 10.B58). Ein Prinzipal kann Entscheidungsbefugnisse für bestimmte Bereiche oder für alle maßgeblichen Tätigkeiten an einen Agenten übertragen. Die Entscheidungsbefugnisse des Agenten sind dem Investor zuzurechnen und der Investor kann mittelbar Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen haben, dh., der Investor kann mittelbar die schwankenden Renditen steuern und damit das Beteiligungsunternehmen beherrschen. Ein Prinzipal behält somit die Beherrschung über das andere Unternehmen. Der Agent übt keine Beherrschung iSd IFRS 10 über das Beteiligungsunternehmen aus. Es ist allerdings festzuhalten, dass
- ein Entscheidungsträger nicht allein deswegen als ein Agent zu charakterisieren ist, weil andere Parteien von den Entscheidungen betroffen sind bzw. an diesen profitieren (IFRS 10.B58), und
- die Verpflichtung, im Namen und zum Vorteil der Parteien zu agieren, die Rechte an den Entscheidungsträger übertragen haben, nicht allein verhindert, dass der Entscheidungsträger als Prinzipal handelt (vgl. EY, International GAAP 2023, Kap. 6, Abschn. 6.1). Wenn der einzige Entscheidungsträger eines Beteiligungsunternehmens kein Agent ist, ist dieser Prinzipal.
Tz. 157
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Bei der Beurteilung, ob der Entscheidungsträger als Agent oder Prinzipal handelt, sind unter Berücksichtigung sämtlicher Sachverhalte und Umstände folgende Kriterien zu berücksichtigen und zu einem Gesamturteil zusammenzufassen (IFRS 10.B60):
- der Umfang der Tätigkeiten, die der Entscheidungsträger vertraglich oder rechtlich bestimmen darf, und der Ermessensspielraum, den der Entscheidungsträger hat, wenn er Entscheidungen über diese Tätigkeiten trifft (IFRS 10.B62f.);
- Rechte, die von anderen Parteien gehalten werden (zB das Recht zum Entzug der Entscheidungsbefugnisse oder das Recht auf Abberufung des Entscheidungsträgers, IFRS 10.B64–B67);
- Vergütung des Entscheidungsträgers (bzw. Entlohnungs- und Anreizstrukturen, IFRS 10.B68–B70);
- Risikobelastung aus den schwankenden Renditen aus anderen Beteiligungen des Entscheidungsträgers am Beteiligungsunternehmen (IFRS 10.B71f.).
Tz. 158
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Die Kriterien a) und b) stellen dabei den rechtlichen und faktischen Entscheidungsspielraum (zB durch Gesellschaftsvertrag, verbindliche Vorgaben, Abberufungsrechte, Liquidationsrechte, Vetorechte, Autopiloten-Strukturen oÄ) dar. Die Kriterien c) und d) repräsentieren die wirtschaftliche Anreizstruktur (zB fixe bzw. Performance-abhängige Vergütungen, Höhe und Variabilität der Renditen, gleichgerichtete Interessenlage von Entscheidungsträger und Investoren). Je vie...