Clemens Jungsthöfel, Katharina Rohde
Tz. 73
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Für die zum Zeitpunkt des Erstansatzes erwartungsgemäß gewinnbringenden Vertragsgruppen wird der erwartete Gewinn in einer vertraglichen Servicemarge (contractual service margin, CSM) abgegrenzt. Obwohl es sich bei der CSM um eine Residualgröße aus den vorgenannten Bausteinen (1–3) handelt, wird hierin ein eigenständiger (vierter) Baustein gesehen, da dieser dazu dient, den erwarteten Gewinn im Rahmen der Erstbewertung durch die Bildung eines expliziten Abschlusspostens (CSM) innerhalb der Deckungsrückstellung (LIC) abzugrenzen. Hierdurch wird ein sofortiger Gewinnausweis von Neugeschäft verhindert und ein "Verdienen" über die Dauer des Vertrags entsprechend der Leistungserbringung sichergestellt. Die CSM stellt also zu jedem Stichtag den unverdienten Gewinn aus der Erbringung der Dienstleistung (Versicherungsschutz) dar. Das Bewertungsobjekt iRd. CSM ist die Gruppe von Versicherungsverträgen (GIC).
Dieses Vorgehen steht im Einklang mit IFRS 15, der die Erfassung von Umsatzerlösen regelt. Auch dort wird der Gewinn entsprechend dem Leistungsfortschritt durch Auflösung der Verbindlichkeit (performance obligation) vereinnahmt, um entscheidungserhebliche Informationen über den Stand der Leistungserbringung zu vermitteln. Analog wird nach IFRS 17.B123 verfahren.
Der Ausweis der CSM, also einem erwarteten Gewinn als Teil der Rückstellungen erscheint vor dem Hintergrund der IFRS-Definition einer "Schuld" ungewöhnlich (vgl. Conceptual Framework, 4.4 (b). Allerdings wurde bzw. wird auch der Posten des Prämienübertrags in IFRS 4 bzw. HGB unter den versicherungstechnischen Rückstellungen geführt. In den Kapitalmodellen (zB der Rating-Agenturen) wird hiervon teilweise abstrahiert und die CSM ganz oder teilweise als (Eigen-)kapital anerkannt.
Tz. 74
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die CSM findet ausschließlich Anwendung in der LRC, dh. in dem Teil der versicherungstechnischen Rückstellungen, der für verbleibende (offene) Deckungsperioden gebildet wird.
Vorausgesetzt, es wurden keine Zahlungen (Beiträge) vor Ersterfassung erhalten, ist die LRC einer profitablen GIC im Zeitpunkt der Ersterfassung damit "null", denn der positive (aktivische) Erfüllungswert wird durch einen (passivischen) Abgrenzungsposten, die CSM, neutralisiert (vgl. Kronthaler et al., 2020, S. 35).
Die CSM wird in der Folge entsprechend dem Umfang der Leistungserbringung über die Deckungsperiode realisiert.
Tz. 75
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die Höhe der CSM kann bspw. von folgenden Faktoren beeinflusst sein:
1) |
Wachstum: Wächst ein Unternehmen zB dynamisch, steigt ceteris paribus das Volumen und die CSM des Neugeschäfts und damit der Bestand der CSM zum Stichtag. |
2) |
Marktzyklen im (Rück)Versicherungsgeschäft sowie Wettbewerb: Je nach Profitabilität des Geschäfts, welches durch Marktpreiszyklen oder wettbewerbspolitische Überlegungen beeinflusst sein kann, steigt oder sinkt die Margenerwartung und damit die CSM. |
3) |
Risikoeinschätzung der Bewertungsparameter: Werden die Bewertungsparameter der Bausteine 1–3 im Rahmen der bestehenden Ermessenspielräume am vorsichtigeren Ende einer Bandbreite möglicher Schätzungen positioniert, reduziert sich die CSM (und umgekehrt). |
4) |
Makroökonomischen Gegebenheiten (ua. Marktzinsniveau): Je höher/niedriger der zur Anwendung kommende Diskontzins ist (Baustein 2), desto höher/niedriger ist die CSM. |
Tz. 76
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Wird bei Abschluss eines Vertrags ein Verlust aus der Versicherungsdeckung erwartet (onerous contract), wird der im Zugangszeitpunkt erwartete Verlust unmittelbar erfolgswirksam als Drohverlustrückstellung (loss component, LC) angesetzt (IFRS 17.BC219). Der Ansatz erfolgt explizit als LC innerhalb der LRC (IFRS 17.49), um die CSM von negativen Beträgen freizuhalten. Die Drohverlustrückstellung wird anschließend anhand des noch ausstehenden Erfüllungsbetrags der Zahlungsströme sowie der Risikoanpassung bis zum Ende des Deckungszeitraums aufgelöst. Sie repräsentiert zu jedem Zeitpunkt den erwarteten Verlust aus der noch ausstehenden Gewährung von Leistungen.
Die Bildung einer LC kann bspw. durch folgende Umstände begünstigt sein:
- die o. g. Faktoren 2–4;
- Cross selling, zB Entscheidungen, im Rahmen einer Gesamtkundenverbindung, bewusst Verluste bei einzelnen Verträgen zu akzeptieren, um andere Verträge zu subventionieren.
Zur Fortentwicklung der CSM iRd. Folgebewertung vgl. Tz. 82.