Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 32
Stand: EL 28 – ET: 03/2016
Die Definition für den beizulegenden Zeitwert findet sich seit 2011 in einem eigenen Methodenstandard – IFRS 13 Fair Value Measurement – und wurde in IAS 32 unverändert übernommen. Danach ist der beizulegende Zeitwert (fair value) derjenige Preis, der in einem geordneten Geschäftsvorfall zwischen Marktteilnehmern am Bemessungsstichtag für den Verkauf eines Vermögenswerts eingenommen bzw. für die Übertragung einer Schuld gezahlt würde (IAS 32.11).
Tz. 33
Stand: EL 28 – ET: 03/2016
Die Verwendung des Konjunktivs in der Definition ist bewusst gewählt und entspricht einer Arbeitshypothese, die auf ganz bestimmten Annahmen fußt: Es werden ein vollkommener Markt mit vollständiger Information sowie die jederzeitige Liquidierbarkeit des betreffenden Postens unterstellt. Dass es sich um einen hypothetischen Wert handelt, zeigt sich am deutlichsten, wenn man sich der Bewertungskonsequenzen gewahr wird: Soll ein Vermögenswert an einem Berichtsstichtag zum beizulegenden Zeitwert bewertet werden, so ist die Annahme des Veräußerungsvorgangs offenkundig wirklichkeitsfremd, weil sich der Posten bei vollzogenem Verkauf gar nicht mehr im Einflussbereich des Unternehmens befände und zu bewerten wäre. Gleiches gilt für eine Bewertung zum beizulegenden Zeitwert von Schulden: Wären diese zum Stichtag übertragen worden, stellte sich die Frage ihrer Bewertung nicht. Der beizulegende Zeitwert ist also kein realer Wert, sondern ein Bewertungskonzept: Gesucht wird der Wertansatz, der sich ergeben hätte, wenn Vermögen zum Stichtag veräußert oder Schulden übertragen worden wären.
Tz. 33a
Stand: EL 28 – ET: 03/2016
Mit der Verabschiedung von IFRS 13 wurde die Definition des beizulegenden Zeitwerts, die zuvor in IAS 32 niedergelegt war, geändert. Der Standard ist das Ergebnis eines Konvergenzprojekts mit dem US-amerikanischen Standardsetzers FASB, der drei Jahre zuvor seine Bemessungsnorm SFAS 157 erlassen hatte (mittlerweile ASC Topic 820-10). Die wesentlichste Veränderung gegenüber der Vorfassung ergibt sich für die Passivseite und besteht darin, dass nunmehr der Preis für eine Übertragung einer Schuld zu verwenden ist. Bis 2011 wurde der beizulegende Zeitwert als jener Wert definiert, zu dem eine Schuld beglichen werden kann. Mit der Überarbeitung wurde also ein Perspektivwechsel vollzogen, was die Gegenpartei angeht: Eine Schuld kann nur beim Gläubiger beglichen werden; übertragen kann man sie theoretisch an jeden fremden Dritten. Der FASB – und mit ihm der IASB – haben sich für diese Wortwahl ganz bewusst entschieden, weil bei der Bemessung des Abgangspreises ein Marktbezug und kein unternehmensspezifischer Wert zum Ausdruck kommen sollte. Das führt in der Anwendung freilich erneut dazu, dass die Bemessung in weiten Teilen fiktiv ist, weil Schulden in den meisten Rechtskreisen – und so auch in Deutschland – nicht ohne Zustimmung des Gläubigers auf einen anderen Schuldner übertragen werden können. Bei der Bewertung von Schulden zum beizulegenden Zeitwert muss also nicht nur unterstellt werden, dass diese am Stichtag übertragen worden wären (was nicht der Fall ist), sondern dass der Gläubiger dieser Übertragung auf einen Dritten auch zugestimmt hätte (was nur dann denkbar wäre, wenn der neue Schuldner eine mindestens ebenso hohe Kreditwürdigkeit besäße).
Tz. 34
Stand: EL 28 – ET: 03/2016
Ungeachtet des Marktbezugs in der Definition ("Marktteilnehmern") ist der beizulegende Zeitwert in sachlicher Hinsicht vom Marktwert (market value) abzugrenzen: Der beizulegende Zeitwert stellt einen Oberbegriff dar (vgl. Cairns 2007, S. 13); wie dieser im Einzelfall generiert wird – aus Notierungen an Börsen oder anderweitigen Märkten (mark-to-market = Marktwert), modellgestützt (mark-to-model = Modellwert) oder anderweitig, zB durch Vergleich mit anderen Finanzinstrumenten, die ähnliche Vertragscharakteristika aufweisen –, ist letztlich eine Frage der Datenbeschaffung. Ein beizulegender Zeitwert kann mithin ein Marktwert sein, muss es aber nicht.
Tz. 35
Stand: EL 28 – ET: 03/2016
Dem Bewertungskonzept des beizulegenden Zeitwerts liegt die Annahme zugrunde, dass das Unternehmen fortgeführt wird (going concern) und keine Absicht oder Notwendigkeit besteht, den Umfang der Geschäftsaktivitäten wesentlich einzuschränken. Der Hinweis auf normale Marktgegebenheiten bedeutet ferner, dass ein beizulegender Zeitwert nicht vorliegt, wenn das Geschäft unter Zwang getätigt wurde (forced transaction) oder durch eine unfreiwillige Liquidation oder einen Notverkauf (distress sale) zustande kam (IAS 39.AG69). So einleuchtend diese Bestimmung ist, so schwierig ist es, den adversen Effekt in der Praxis nachzuweisen oder zu widerlegen: Ein Unternehmen kann grundsätzlich nur für die von ihm getätigten Geschäfte prüfen, ob einer der genannten Umstände vorliegt; die Kenntnis darüber, ob dies bei einem Dritten der Fall war und der sich daraus ergebende Wertansatz dementsprechend nicht als beizulegender Zeitwert einzuwerten ist, dürfte in vielen Fäl...