Prof. Dr. Isabel von Keitz, Prof. Dr. Peter Wollmert
Tz. 114
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Nach IAS 37.53 sind Erstattungsansprüche (reimbursements; zB aus Versicherungsverträgen, Entschädigungsklauseln oder Gewährleistungen von Lieferanten) in der Bilanz nur zu erfassen, wenn so gut wie sicher ist (virtually certain), dass das Unternehmen die Erstattung bei Erfüllung der Verpflichtung von Dritten erhält. IAS 37 schweigt, welche Mindestanforderungen Erstattungsansprüche erfüllen müssen, um virtually certain zu sein. Unstrittig ist indes, dass für die Berücksichtung von Erstattungsansprüchen eine höhere Eintrittwahrscheinlichkeit erforderlich ist, als für die Passivierung einer Rückstellung (vgl. ADS Int 2002, Abschn. 18, Tz. 104). UE sind Erstattungsansprüche jedenfalls dann virtually certain, wenn sie den vom BFH (Urteil v. 17.02.1993, DB 1993, S. 1396) entwickelten, von der handelsrechtlichen Literatur anerkannten und in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c) EStG für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung sanktionierten Kriterien zur rückstellungsmindernden Berücksichtigung von Rückgriffs- oder Erstattungsansprüchen genügen (vgl. so auch Förschle/Kroner/Heddäus, WPg 1999, S. 41), also wenn sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der drohenden Inanspruchnahme stehen, der Entstehung oder Erfüllung der Verpflichtung in rechtlich verbindlicher Weise nachfolgen und vollwertig sind, weil sie vom Schuldner nicht bestritten werden und dessen Bonität nicht zweifelhaft ist.
Zur Bilanzierung von Anteilen an einem Entsorgungsfonds als Erstattungsanspruch (IFRIC 5) vgl. Tz. 170.
Tz. 115
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Eine rückstellungsmindernde Berücksichtigung von Rückgriffsansprüchen (zB aus einer Haftpflichtversicherung) ist nach IAS 37 indes nur zulässig und geboten (= Nettobilanzierung), wenn das bilanzierende Unternehmen bei Ausfall des zur Erstattung Verpflichteten – ausnahmsweise – nicht für die entsprechenden Kosten haftbar ist (IAS 37.57), so bspw. im Falle eines vertraglichen Haftungsausschlusses oder einer befreienden Schuldübernahme (aA Lüdenbach, PiR 2014, S. 287, der die Regelungen zu den Erstattungsansprüchen als "kasuistischen Fremdkörper" bewertet). Bleibt das Unternehmen bei Ausfall des zur Erstattung Verpflichteten hingegen für den gesamten Betrag haftbar, so ist die Rückstellung in voller Höhe zu passivieren und die Erstattung – sofern sie so gut wie sicher ist – als Vermögenswert zu aktivieren (= Bruttobilanzierung). Dies gilt unabhängig davon, ob die zur Erstattung verpflichtete Partei an das bilanzierende Unternehmen oder direkt an dessen Gläubiger leistet (IAS 37.55). Dabei darf der für die Erstattung angesetzte Betrag die Höhe der Rückstellung nicht übersteigen (IAS 37.53).
Tz. 116
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
In der GuV ist eine Saldierung dagegen – unabhängig von der gebotenen Abbildung der Erstattungsansprüche in der Bilanz – stets zulässig (may), sodass auch der Netto-Aufwand aus der Rückstellungsbildung ausgewiesen werden kann (IAS 37.54).
Tz. 117
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Nach IAS 37.29 und IAS 37.58 repräsentiert eine gesamtschuldnerische Verpflichtung eines Unternehmens (jointly and severally liable for an obligation) insoweit eine nicht zu passivierende, sondern lediglich berichterstattungspflichtige Eventualverbindlichkeit, als eine Erfüllung der Verpflichtung durch andere Parteien erwartet (expected) wird. Eine Rückstellung ist nur für den Teil der Verpflichtung zu bilden, für den ein Mittelabfluss wahrscheinlich ist; ist ausnahmsweise (extremely rare circumstances) eine zuverlässige Schätzung dieses (Teil-)Betrags nicht möglich, so ist die Rückstellung in voller Höhe zu dotieren.
Tz. 118
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Die Bestimmungen zur bilanziellen Abbildung von Erstattungsansprüchen vermögen uE nicht zu überzeugen. So konfligiert die bilanzielle Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen nach IAS 37.53 mit dem im framework (F.5.18 (2018)) sanktionierten Grundsatz der glaubwürdigen Darstellung (faithful representation): Sind Erstattungsansprüche nahezu sicher, so ist das Vermögen des Unternehmens wirtschaftlich insoweit nicht belastet mit der Folge, dass es einer finanziellen Vorsorge durch Bildung einer Rückstellung nicht bedarf (glA Ernsting/von Keitz, DB 1998, S. 2482; Büchele, BB 1999, S. 1484). Mit Blick auf den Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist die Regelung in IAS 37.56, wonach nahezu sichere Erstattungsansprüche als separater Vermögenswert anzusetzen sind, während die Rückstellung in voller Höhe der Schuld auszuweisen ist, uE fragwürdig. In diesem Fall ist nämlich ggf. bereits die Erfüllung der Ansatzkriterien zu verneinen, wenn der Abfluss von Ressourcen mit wirtschaftlichem Nutzen nicht wahrscheinlich ist (zum Ansatzkriterium vgl. Tz. 57). Dies gilt umso mehr, als bei gesamtschuldnerischen Verpflichtungen in Höhe des von den anderen Gesamtschuldnern zu tragenden Teils der Verpflichtung bereits dann keine Passivierungspflicht besteht, wenn lediglich erwartet wird, dass diese ihren Teil der Verpflichtung erfüllen werden (vgl. Erns...