Prof. Dr. Peter Wollmert, Prof. Dr. Peter Oser
Tz. 1
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Für (Des-)Investitionsentscheidungen benötigen Kapitalgeber entscheidungsrelevante Informationen, um Höhe und Zeitpunkt der künftigen (Netto-)Zahlungsströme, die ein Unternehmen vermittelt, einschätzen und mit denen anderer Unternehmen vergleichen zu können. Investoren nutzen für ihre Entscheidungen insbesondere auch die externe Finanzberichterstattung der Unternehmen. Indes vermochten Abschlüsse, die auf der Basis der Bilanzrichtlinien der EU (4. EG-Richtlinie (78/660/EWG), ABl. EG L 222 vom 14. August 1978, S. 11 und 7. EG-Richtlinie (83/349/EWG), ABl. EG L 193 vom 18. Juli 1993, S. 1; beide Richtlinien wurden durch die neue EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU, ABl. EU L 182 vom 29. Juni 2013, S. 19 aufgehoben) erstellt wurden, angesichts der zahlreichen Wahlrechte die Informationsbedürfnisse von Investoren nur unzureichend zu erfüllen (vgl. KOM 95 (508), Tz. 1.2). Vor diesem Hintergrund mussten Unternehmen entweder duale Konzernabschlüsse oder zusätzliche Konzernabschlüsse nach den US-Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) oder den International Accounting Standards (IAS) erstellen.
Mit dem Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (KapAEG) vom 20. April 1998 (BGBl. I 1998, S. 707) wurde sodann § 292a HGB ins HGB eingeführt, der durch vom Deutschen Standardisierungsrat (DSR) entwickelte Standards (DRS 1 und DRS 1a) konkretisiert wurde. § 292a HGB erlaubte deutschen kapitalmarktorientierten Mutterunternehmen auf die Aufstellung eines HGB-Konzernabschlusses zu verzichten, wenn ein konsolidierter Abschluss nach international anerkannten Rechnungslegungsstandards (insb. IAS oder US-GAAP) aufgestellt, geprüft und offengelegt wurde und dieser im Einklang mit den Vorschriften der EU-Rechnungslegungsrichtlinien stand.
Im Wettbewerb der Rechnungslegungssysteme entschied sich die EU – auf der Basis einer Empfehlung der IOSCO – schließlich für die IAS, indem sie alle kapitalmarktorientierten Mutterunternehmen ab dem Jahr 2005 verpflichtete, ihre konsolidierten Abschlüsse nach den von der EU übernommenen IAS aufzustellen (Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 vom 19. Juli 2002, sog. IAS-Verordnung, im Weiteren: IAS-VO, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 11. September 2002 Nr. L 243, S. 1). Ziel der IAS-VO ist es, die Transparenz und Vergleichbarkeit der konsolidierten Abschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen zu verbessern und damit einen wirksamen, reibungslos und effizient funktionierenden Kapitalmarkt in der Europäischen Union und im Binnenmarkt sicherzustellen (vgl. Art. 1 IAS-VO).
Zwecks Umsetzung der in der IAS-VO eingeräumten Mitgliedstaatenwahlrechte und zur Ergänzung bestimmter Vorschriften des deutschen Bilanzrechts führte der Gesetzgeber mit dem Bilanzrechtsreformgesetz vom 4. Dezember 2004 (BilReG; BGBl. I 2004, S. 3166) zum einen § 315a HGB zur Konzernrechnungslegung nach den von der EU übernommenen IFRS und zum anderen § 325 Abs. 2a HGB zum befreienden IFRS-Einzelabschluss in das deutsche Handelsrecht ein; § 292a HGB (und im Gefolge DRS 1 und DRS 1a) wurden aufgehoben. Infolge der Reorganisation der Vorschriften zum (Konzern-)Lagebericht durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (BGBl. I 2017, S. 802) wurde § 315a HGB mit Wirkung für Geschäftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2016 beginnen, zu § 315e HGB (Art. 80 EGHGB).