Prof. Dr. Corinna Ewelt-Knauer, Dr. Julian Höbener
Tz. 104
Stand: EL 43 – ET: 03/2021
Die abstrakte Orientierung an den Chancen und Risiken wird vom IASB durch verschiedene Beispiele und Indikatoren in IFRS 16.63 und IFRS 16.64 operationalisiert, die regelmäßig maßgeblich die Verteilung der Chancen und Risiken beeinflussen. So können mit Blick auf die Beispiele in IFRS 16.63 die Übertragungskonditionen am Ende der Laufzeit, die Dauer der Nutzung, die Höhe der mindestens zu entrichtenden Nutzungsentgelte oder die Exklusivität des Leasingobjekts die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums am Leasingobjekt auf den Leasingnehmer begründen (hierzu ausführlich vgl. Tz. 111–126), die deckungsgleich mit den Beispielen in IAS 17.10 sind. Diese Beispiele zielen insbesondere auf die erwartete Dauer der Verfügungsmacht über das Leasingobjekt sowie das Amortisationsrisiko ab. Ferner können weitere Indikatoren wie Verlustübernahmen bei Vertragsauflösung, Sicherungen des Restwertes des Leasingobjekts oder Verlängerungsoptionen gem. IFRS 16.64 in Übereinstimmung mit IAS 17.11 auf ein wirtschaftliches Eigentumsverhältnis hindeuten (hierzu ausführlich vgl. Tz. 127–130).
In Bezug auf den Bindungsgrad ist zwischen den Beispielen und den Indikatoren zu differenzieren. Während die Beispiele in IFRS 16.63 regelmäßig nur durch eine schlüssige Argumentation auf Basis der wirtschaftlichen Gesamtumstände widerlegt werden können, ist der Bindungsgrad der Indikatoren in IFRS 16.64 geringer (aA wohl Gebhardt, in: Thiele/von Keitz/Brücks, 41. Erg.-Lfg. April 2019, IFRS 16, Tz. 322), sodass das Vorliegen eines Indikators den Bilanzierenden zu einer umfangreichen Beurteilung des zugrunde liegenden Sachverhalts vor dem Hintergrund eines möglichen wirtschaftlichen Eigentumsverhältnisses anhalten sollte und folglich zunächst als gewichtige Eingangsvermutung zu interpretieren ist. Ein "Automatismus der Vertragsklassifikation" (im Kontext von IAS 17 Mellwig/Sabel, in: MünchKommBilR, IAS 17, Tz. 51) kann allerdings weder aus den Beispielen noch aus den Indikatoren abgeleitet werden. Zudem ist dieser Katalog an Beispielen und Indikatoren nicht abschließend. Vielmehr stellen diese Kriterien typisierte Operationalisierungen der Chancen- und Risikoverteilung dar, die das grundlegende chancen- und risikoorientierte Konzept verdeutlichen sollen. Folglich kann ein wirtschaftliches Eigentumsverhältnis auch über den allgemeinen Grundsatz aus IFRS 16.62 abgeleitet werden (siehe auch die entsprechenden Ausführungen in IFRS 16.65).
Tz. 105
Stand: EL 43 – ET: 03/2021
Die Formulierung der Beispiele und Indikatoren in IFRS 16.63 sowie IFRS 16.64 gibt – ähnlich wie nach IAS 17 – den Bilanzierenden keine konkreten Grenzwerte vor, ab wann ein geleaster Vermögenswert als wirtschaftliches Eigentum zu charakterisieren ist. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass auf Basis der wirtschaftlichen Gesamtumstände eine Entscheidung über ein mögliches Eigentumsverhältnis getroffen wird. Dies eröffnet indes zum einen Auslegungs- und damit Gestaltungsspielräume, und zum anderen wird die praktische Anwendung der Regelungen für die Bilanzierenden erschwert. Es sei jedoch explizit darauf hingewiesen, dass nicht über die Öffnungsklausel in IAS 8.12 auf die quantifizierten Grenzen aus den Regelungen nach US-GAAP, dh. mit Verweis auf ASC Topic 842–10–25–2 iVm. ASC Topic 842–10–55–2, zurückgegriffen werden kann, da dies der Intention des Standardsetzers zuwiderlaufen würde (vgl. so auch exemplarisch im Kontext von IAS 17 Sabel, 2006, S. 63 und 98). Vielmehr können quantifizierte Grenzwerte nur als erste Orientierung fungieren, sodass ein Sachverhalt stets vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Rahmens zu beurteilen ist, was bedeutet, auf Basis der Verteilung der Chancen und Risiken auf ein wirtschaftliches Eigentumsverhältnis zu schließen.
Tz. 106–110
Stand: EL 43 – ET: 03/2021
(einstweilen frei)