Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 55
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses ist in IFRS 10.4–4B unabhängig von Rechtsform und Sitz der betroffenen Unternehmen geregelt. Dieser weite Anwendungsbereich ist allerdings nur für Unternehmen in solchen Staaten unmittelbar relevant, die IFRS als verbindliches Normsystem für die Rechnungslegung installiert oder anderweitig übernommen haben. Der IASB kann keine Person unmittelbar zur (Konzern-)Rechnungslegung verpflichten, sondern ist auf eine nationale Anerkennung, Annahme oder Übernahme angewiesen. In den erstgenannten Staaten ist somit jedes Unternehmen, das die in IFRS 10.4–4B genannten Voraussetzungen erfüllt, verpflichtet, einen Konzernabschluss vorzulegen. In allen übrigen Staaten ist die Verpflichtung zur Konzernrechnungslegung durch individuelles Einzelstaatenrecht geregelt. Die IFRS können dann zwar durchaus als ergänzendes oder auch alternatives Normsystem für die Umsetzung der Konzernrechnungslegungspflicht von Bedeutung sein; auf die Pflicht zur Konzernrechnungslegung selbst haben die IFRS indes keinen Einfluss. Dies trifft auch auf die EU zu (zur Aufstellungspflicht eines Konzernabschlusses in der EU und in Deutschland vgl. Tz. 192 ff.).
Tz. 56
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
IFRS 10.4 regelt die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses. Die Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses wird an die Existenz eines Mutter-Tochter-Verhältnisses geknüpft. Ein Mutter-Tochter-Verhältnis wird nach IFRS ausschließlich durch ein Beherrschungsverhältnis begründet (IFRS 10.5). Nach IFRS 10 besteht die Konzernrechnungslegungspflicht daher lediglich für Unterordnungskonzerne; eine Aufstellungspflicht für Gleichordnungskonzerne (horizontal groups) besteht nach IFRS 10 nicht (zur Definition von Gleichordnungskonzerne und zur Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen sog. combined financial statements für Gleichordnungskonzerne aufzustellen, vgl. Tz. 196 ff.). Ein Mutterunternehmen hat grds. einen Konzernabschluss zu erstellen (IFRS 10.4). Für Ausnahmen im Anwendungsbereich des IFRS 10, vgl. Tz. 15a bis 15c. Als Mutterunternehmen gilt ein Unternehmen, das ein oder mehrere Unternehmen beherrscht (IFRS 10 Appendix A). Ein Unternehmen, das durch ein anderes Unternehmen (Mutterunternehmen) beherrscht wird, wird als Tochterunternehmen bezeichnet. Die Definition eines Mutter-Tochter-Verhältnisses und damit die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses stellt somit ausschließlich darauf ab, ob ein Mutterunternehmen die Beherrschung (control) über mindestens ein Unternehmen (Tochterunternehmen) besitzt (sog. Beherrschungskonzept). In Konzernverbunde dazwischengeschaltete Mutterunternehmen können meist über die Voraussetzungen des IFRS 10.4 (a) auf die Aufstellung eines eigenen Konzernabschlusses verzichten (vgl. Tz. 180).
Tz. 57
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Ein Mutterunternehmen ist nach den IFRS so lange verpflichtet, einen Konzernabschluss aufzustellen, wie ein Mutter-Tochter-Verhältnis besteht. Sofern während des Geschäftsjahres das einzige Tochterunternehmen veräußert wird, endet die Pflicht zur Konzernrechnungslegung nach IFRS grds. nicht vor dem Abgang des Tochterunternehmens (zur Aufstellungspflicht eines Konzernabschlusses in der EU und in Deutschland vgl. Tz. 192 ff.). Nur so können – wie von IFRS 10.20 iVm. IFRS 10.B86 (c) gefordert – die Erträge und Aufwendungen bis zum Beherrschungsverlust in den Konzernabschluss einbezogen werden. Der Zeitpunkt des Beherrschungsverlusts ist angesichts des umfassenden Beherrschungskonzepts des IFRS 10 nicht immer mit dem Veräußerungszeitpunkt von Gesellschaftsanteilen gleichzusetzen. Auf den Zeitpunkt des Beherrschungsverlusts ist der Gewinn oder Verlust aus dem Abgang des Tochterunternehmens (Endkonsolidierungsergebnis) zu ermitteln, wobei die Erträge und Aufwendungen des Tochterunternehmens bis zu dem Zeitpunkt des Beherrschungsverlusts ebenfalls als Bestandteil des Konzerns zu berücksichtigen sind.
Tz. 58
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Jeder Investor (zur Definition vgl. Tz. 26) in ein anderes Unternehmen hat zu prüfen, ob dieser das andere Unternehmen beherrscht und damit die Definition eines Mutterunternehmens erfüllt (IFRS 10.5). Beherrschung liegt vor, wenn der Investor aufgrund seines Engagements in das Beteiligungsunternehmen (involvement) schwankende Renditen erhält oder über Rechte verfügt, diese zu erhalten, und die Möglichkeit hat, diese Renditen zu beeinflussen, indem dieser die Aktivitäten des Beteiligungsunternehmens steuert (IFRS 10 Appendix A). Dieser Grundsatz ist auf sämtliche Beteiligungsunternehmen anzuwenden, dh. auch auf sog. strukturierte Unternehmen (hierzu ausführlich vgl. Tz. 133 ff.).
Tz. 59
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Beherrschung liegt somit vor, wenn ein Investor die folgenden drei Grundbedingungen kumulativ erfüllt (vgl. IFRS 10.7 und IFRS 10.10 bzw. IFRS 10.B2, drei Elemente der Beherrschung):
- Der Investor besitzt die Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen (power). Die Ver...