Prof. Dr. Jens Wüstemann, Dr. Sonja Wüstemann
Tz. 16
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Im Gegensatz zu den geschäftsvorfallbasierten Regelungen des IAS 18 knüpft IFRS 15 die Umsatzerfassung im Sinne einer rechtlichen Betrachtungsweise an das Bestehen eines Vertrags. Dieser ist definiert als eine Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Parteien, die rechtlich durchsetzbare ("enforceable") Ansprüche begründet (IFRS 15.10; IFRS 15 Appendix A) und unterscheidet sich hierdurch von der Vertragsdefinition des IAS 32 (IFRS 15.BC31). Trotz der angestrebten Konsistenz führt dies im Ergebnis zu verschiedenen Vertragsdefinitionen innerhalb der IFRS (vgl. KPMG, 2014, S. 18; hierzu kritisch IDW, 2011, S. 9).
Tz. 17
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Die Bestimmung durchsetzbarer Rechte und Pflichten erfolgt anhand des jeweiligen nationalen Zivilrechts (IFRS 15.BC32). Wird bspw. ein Vertrag mit einer aufschiebenden Bedingung geschlossen, hängt die Durchsetzbarkeit der Ansprüche und Verpflichtungen bei Orientierung am deutschen Zivilrecht vom Eintritt der Bedingung ab (§ 158 BGB). Bis zum Zeitpunkt des Bedingungseintritts liegt nach IFRS 15 daher regelmäßig kein Vertrag vor (zur differenzierten Betrachtung vgl. Heintges et al., Erfahrungen aus der Anwendung, WPg 2015, S. 573). Die jeweiligen Methoden und Prozesse, die bei der Vertragsgestaltung in einzelnen Rechtssystemen, in verschiedenen Wirtschaftszweigen und innerhalb einzelner Unternehmen unterschiedlich sein können, sind nach IFRS 15.10 jedoch ebenfalls zu berücksichtigen.
Tz. 18
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Während die rechtliche Durchsetzbarkeit eine notwendige Bedingung für das Bestehen eines Vertrags ist, kann die vereinbarte Leistungsverpflichtung auch nicht durchsetzbare Kundenversprechen beinhalten, sofern bei dem Kunden eine gerechtfertigte Erwartung auf den Erhalt der Güter oder Dienstleitungen besteht (IFRS 15.BC32; vgl. Tz. 51).
Tz. 19
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Auch im deutschen Bilanzrecht erfolgt die Ertragsrealisation durch Anknüpfung an die Zivilrechtsstruktur; Lieferung und Leistung beruhen auf schuldrechtlichen Vereinbarungen, weshalb eine Orientierung an dem den jeweiligen Geschäftsvorfällen zugrunde liegenden Vertrag objektivierte Informationen über die Leistungsverpflichtungen sowie deren Durchsetzbarkeit liefert (vgl. Euler, 1989, S. 70). Allerdings wird nicht auf den schuldrechtlichen Vertrag, sondern das schwebende Geschäft abgestellt, das auch die "wirtschaftliche Entstehung des Geschäfts" berücksichtigt (Woerner, FR 1984, S. 490). So erfüllt etwa ein einseitiges Vertragsangebot, das mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem Kunden angenommen wird, noch nicht die Vertragsdefinition des IFRS 15, nach handelsrechtlichen GoB sind die an schwebende Geschäfte gestellten Anforderungen hingegen schon erfüllt (zu den GoB vgl. BFH, 1983, S. 361; Hennrichs, in: MünchKommBilR, 1. Aufl., § 249, Tz. 96, 99).
Tz. 20
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Die Anknüpfung des IFRS 15 an das jeweilige Vertragsrecht steht grundsätzlich in Einklang mit dem angestrebten vertragsbasierten Ansatz, kann jedoch aufgrund abweichender Rechtssysteme zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (vgl. Wüstemann/Wüstemann, WPg 2014, S. 931). Da das Zusammenspiel zwischen den – für alle Unternehmen einheitlich – festgelegten Vertragskriterien und der Anwendung des unterschiedlichen nationalen Zivilrechts nicht eindeutig bestimmt ist, ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten in Bezug auf den Umfang der zu erfassenden Verträge (ferner vgl. Schulzke et al., Vanderbilt Journal of Transnational Law 2013, S. 518 f., 538–542).
Tz. 21
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Das erste der fünf kumulativ zu erfüllenden Vertragskriterien des IFRS 15 setzt voraus, dass beide Parteien den Vertrag akzeptieren und ihre vertraglichen Pflichten erfüllen (IFRS 15.9(a)). Der Vertrag kann dabei schriftlich sowie mündlich zustande kommen oder auch auf Grundlage gängiger Geschäftspraktiken bestehen (IFRS 15.10). Auch nach deutschem Zivilrecht kann ein Vertrag in unterschiedlicher Form abgeschlossenen werden; für die Willenserklärung der Vertragsparteien besteht grundsätzlich kein Formerfordernis (§ 125 BGB). Bei bestimmten Vertragstypen ist jedoch eine bestimmte Form gesetzlich vorgeschrieben. So muss bspw. ein Vertag über die Veräußerung eines Grundstücks notariell beurkundet werden, um rechtlich wirksam zu bestehen (§ 311b Abs. 1 Satz 1 BGB). Bei fehlender Formeinhaltung erlangt der Vertrag andernfalls erst mit Auflassung und Eintragung in das Grundbuch Gültigkeit (§ 311b Abs. 1 Satz 2 BGB). Auch für das Bestehen eines Bürgschaftsvertrags ist gem. § 766 BGB eine schriftliche Bürgschaftserklärung erforderlich. Bei Bestehen solcher Formerfordernisse reicht dann eine mündliche Abrede für das Zustandekommen eines Vertrags i. S. d. IFRS 15 nicht aus.
Tz. 22
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Während mündliche Vereinbarungen bisher nur auf Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise Berücksichtigung finden konnten, sind diese nunmehr explizit zu beachten, allerdings immer in den skizzierten Grenzen des nationalen Zivil...