Gregor A. Bartle, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Otto H. Jacobs
Tz. 68
Stand: EL 45 - ET: 11/2021
Bei Verrechnung der fixen und variablen Produktionsgemeinkosten ist von einer Normalauslastung der Kapazitäten der vorhandenen Produktionseinrichtungen auszugehen (IAS 2.13). Normalkapazität wird definiert als das erwartete Ausmaß der Produktion, welches im Durchschnitt über mehrere Perioden (bzw. Saisons) unter normalen Bedingungen und unter Berücksichtigung von Ausfällen aufgrund planmäßiger Instandhaltungen erreicht wird. Damit ist die Normalauslastung nicht mit einer Vollauslastung gleichzusetzen. Die Normalauslastung kann sich ferner im Zeitablauf ändern. Orientiert man sich zudem an den Vorschriften in Großbritannien, die der Kalkulation ebenfalls eine Normalkapazität (normal level of activity) zugrunde legen, müssen zur Konkretisierung des abstrakten Begriffs normal folgende Tatbestände berücksichtigt werden (vgl. SSAP 9 Appendix 1, Tz. 8; PricewaterhouseCoopers, 2021, Tz. 20.59):
1) |
das Ausmaß der Produktion, das für die Produktionseinrichtung durch die Konstrukteure vorgesehen bzw. durch die Geschäftsleitung bestimmt ist (Ein- oder Mehrschichtbetrieb); |
2) |
die geplante Auslastung der Einrichtungen für das laufende Berichtsjahr sowie für die nachfolgende Periode; |
3) |
die erlangte Auslastung im laufenden Berichtsjahr sowie vergangener Perioden. |
Tz. 69
Stand: EL 45 - ET: 11/2021
Statt einer Normalauslastung der Produktionseinrichtungen kann auch das aktuelle Produktionsniveau der Kalkulation zugrunde gelegt werden (IAS 2.13). Voraussetzung dafür ist, dass sich das Ergebnis dem der Normalauslastung annähert. Wann eine Annäherung als ausreichend zu betrachten ist, bleibt allerdings interpretationsbedürftig. Eine Abweichung von 30 Prozent gilt indes als nicht mehr sachgemäß (vgl. Küting/Harth, BB 1999, S. 2346). Mit dieser Regelung wird sichergestellt, dass sich der Betrag der fixen Gemeinkosten pro Stück in Folge einer geringen Auslastung oder einem Stillstand der Betriebseinrichtungen (idle plant) nicht erhöht, womit der Ansatz sog. Leerkosten grundsätzlich ausgeschlossen wird (IAS 2.13). Diese Beträge sind in der Periode ihres Anfalls aufwandswirksam zu erfassen.
Beispiel:
Das in der Pharmabranche tätige Unternehmen A plant zum Jahresanfang einen Output von 100.000 Produkteinheiten eines Medikaments unter normaler Kapazitätsauslastung (zB 91 % der technisch möglichen Vollauslastung) seiner Produktionsanlagen. Im Rahmen der Produktion fallen dabei 200.000 GE produktionsbezogene Gemeinkosten an. Die einer Produkteinheit zuzurechnenden Gemeinkosten betragen damit 2 GE. Aufgrund eines vorläufigen Nachfrageeinbruchs stellt sich heraus, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, lediglich 60.000 Produkteinheiten zu produzieren. Damit sind in die Bewertung der in der Periode hergestellten Vorräte lediglich Gemeinkosten iHv. 120.000 GE einzubeziehen. Leerkosten iHv. 80.000 GE, die durch eine Unterauslastung der Produktionsanlagen verursacht sind, werden als Aufwand erfasst.
Tz. 70
Stand: EL 45 - ET: 11/2021
In Perioden mit einer höheren Auslastung der Produktionseinrichtungen als der Normalkapazität muss der Betrag der fixen Gemeinkosten, der auf jede Einheit der Produktion verrechnet wird, gemindert werden. Dadurch wird die Obergrenze des Ansatzes der Vorräte durch die tatsächlich angefallenen Istkosten bestimmt. Der Betrag der variablen Gemeinkosten pro Stück wird stets auf Basis der aktuellen Beschäftigung verrechnet (IAS 2.13). Damit wird bspw. für variable Kosten, die aus wirtschaftlichen Gründen geschlüsselt werden, eine relativ genaue Kostenerfassung gewährleistet.
Beispiel Abwandlung:
Statt eines Nachfragerückgangs sieht sich das Unternehmen A einer sprunghaft gestiegenen Nachfrage nach seinem Produkt ausgesetzt. Entsprechend werden letzte Kapazitätsreserven mobilisiert und die Produktion beträgt 110.000 Einheiten. Damit sind pro Produkteinheit 1,82 GE an Gemeinkosten zu aktivieren. Leerkosten liegen nicht vor.
Tz. 71
Stand: EL 45 - ET: 11/2021
Die Vorgehensweise, für fixe Gemeinkosten pro Stück eine Normalbeschäftigung zugrunde zu legen, wird nach handelsrechtlichen Vorschriften in gleicher Weise als zulässig erachtet. Grund für die Verwendung einer Normalbeschäftigung ist, dass sie zum einen der Notwendigkeit, nur angemessene bzw. notwendige Kosten in die Herstellungskosten einzubeziehen, entspricht (vgl. IDW RS HFA 31 Tz. 20f.). Zum anderen bestehen keine Bedenken, durch den Ansatz einer Normalbeschäftigung Sollkosten zu verrechnen, sofern die Bestimmung der Normalbeschäftigung vernünftigen kaufmännischen Überlegungen entspricht (vgl. ADS, 6. Aufl., § 255 HGB, Tz. 226). Durch Ansatz von Kosten auf Basis einer Normalbeschäftigung werden automatisch beschäftigungsinduzierte Kostenüber- und -unterdeckungen isoliert. Die verrechneten Kosten dürfen jedoch die tatsächlichen Kosten (Istkosten) nicht überschreiten, da sonst gegen das Realisationsprinzip verstoßen wird. Insoweit bestehen bei Überbeschäftigungen übereinstimmende Vorgehensweisen, da die Verrechnung von überhöhten Fixkosten pro...