Prof. Dr. Hans-Jürgen Kirsch, Eva Bracht
ab.4.1 Überblick
Tz. 75
Stand: EL 40 – ET: 02/2020
Ist eine gemeinschaftliche Vereinbarung über eine separate Einheit strukturiert, dessen rechtliche Form eine Trennung zwischen den Parteien und der separaten Einheit bewirkt, sind folgende Fälle zu unterscheiden:
- Geht bereits aus der vertraglichen Vereinbarung hervor, dass die Parteien Rechte an den Vermögenswerten und Pflichten für die Schulden der gemeinschaftlichen Vereinbarung haben, ist die Prüfung der Klassifizierung der gemeinschaftlichen Vereinbarung abgeschlossen. Die Vereinbarung ist als gemeinschaftliche Tätigkeit zu klassifizieren (IFRS 11.B28).
- Können jedoch Rechte der Parteien an den Vermögenswerten und Pflichten für die Schulden der gemeinschaftlichen Vereinbarung aufgrund der vertraglichen Vereinbarung alleine nicht festgestellt werden, sind im Rahmen der Klassifizierung der gemeinschaftlichen Vereinbarung ggf. zusätzlich noch sonstige Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen (IFRS 11.B29).
Sofern sonstige relevante Tatsachen und Umstände Rechte der Parteien an den Vermögenswerten und Verpflichtungen für die Schulden der gemeinschaftlichen Vereinbarung begründen, ist eine Klassifizierung als gemeinschaftliche Tätigkeit vorzunehmen (IFRS 11.B30).
Tz. 76
Stand: EL 40 – ET: 02/2020
Die Identifizierung von gemeinschaftlichen Tätigkeiten auf Basis von sonstigen relevanten Tatsachen und Umständen erfordert gleichwohl teilweise erhebliches Ermessen durch die Ersteller von IFRS-Abschlüssen. Daher kamen diverse Zweifelsfragen im Rahmen der Implementierung von IFRS 11 auf, die vom IFRIC diskutiert wurden. Im Folgenden wird zunächst die Berücksichtigung von sonstigen relevanten Tatsachen und Umständen im Allgemeinen erörtert, bevor anschließend Agendaentscheidungen des IFRIC beleuchtet werden, in denen sich das IFRIC mit sonstigen relevanten Tatsachen und Umständen auseinandergesetzt hat.
Tz. 77
Stand: EL 40 – ET: 02/2020
Im Rahmen der Beurteilung von sonstigen relevanten Tatsachen und Umständen ist es als Indikator für die Existenz solcher Rechte der Parteien an den Vermögenswerten der gemeinschaftlichen Vereinbarung zu sehen, wenn die Tätigkeiten einer gemeinschaftlichen Vereinbarung in erster Linie dazu dienen, den Parteien Erzeugnisse oder Leistungen zur Verfügung zu stellen (IFRS 11.B31 Satz 1). Die Parteien einer solchen gemeinschaftlichen Vereinbarung sichern sich häufig den Zugang zu den von der Vereinbarung produzierten Erzeugnissen und Leistungen, indem sie die gemeinschaftliche Vereinbarung daran hindern, die Erzeugnisse und Leistungen an Dritte zu verkaufen (IFRS 11.B31 Satz 2). In diesen Fällen haben die Parteien die aus der gemeinschaftlichen Vereinbarung entstehenden Risikopositionen zu tragen, sodass bei dieser keine Absatz-, Delkredere- oder Kapitalbindungsrisiken verbleiben. Zudem erzielen die Parteien durch die vollständige Abnahme der Produkte alle wirtschaftlichen Vorteile. In der Praxis finden sich solche Konstruktionen zB bei Zulieferern, die ihre Produktionsstätten an den Produktionsstandorten ihrer Hauptkunden ansiedeln (vgl. Böckem/Ismar, WPg 2011, S. 826). Eine gemeinschaftliche Vereinbarung mit einer solchen Gestaltung und einem solchen Zweck impliziert ebenfalls, dass die Parteien für die Schulden der gemeinschaftlichen Vereinbarung aufkommen. Die von der Vereinbarung eingegangenen Schulden werden nämlich, dem wirtschaftlichen Gehalt nach, mit den Cashflows getilgt, die sie aus dem Verkauf der produzierten Erzeugnisse und Leistungen an die Parteien erhalten (IFRS 11.B32).
Tz. 78
Stand: EL 40 – ET: 02/2020
Beispiel (in Anlehnung an IFRS 11.B32, Beispiel 5):
Die Parteien A und B sind zu jeweils 50 % an einer gemeinschaftlichen Vereinbarung in Form einer eingetragenen Gesellschaft (Unternehmen C) beteiligt. C produziert Vorprodukte nach Mengen- und Qualitätsvorgaben, die A und B für ihren Fertigungsprozess benötigen. Die einzigen Abnehmer von C sind A und B (zu je 50 %), was vertraglich vereinbart wird. Daher erzielt Unternehmen C seinen Cashflow nur über Transaktionen mit A und B. Die Produkte dürfen nur mit Zustimmung von A und B an Dritte veräußert werden. Ein Drittverkauf ist jedoch unwahrscheinlich oder nicht wesentlich. Unternehmen C arbeitet kostendeckend, dh., es erwirtschaftet keine weiteren Gewinne, da der Verkaufspreis so festgelegt ist, dass die Produktions- und Verwaltungskosten gedeckt sind. Aus den vertraglichen Vereinbarungen geht nicht hervor, dass A und B Rechte an den von C gehaltenen Vermögenswerten oder Verpflichtungen für die Schulden der Gesellschaft haben.
Sowohl die Rechtsform als auch die vertraglichen Vereinbarungen lassen zunächst nicht den Schluss zu, dass eine gemeinschaftliche Tätigkeit vorliegt. Es ist allerdings erkennbar, dass die Parteien den gesamten wirtschaftlichen Nutzen aus der vertraglichen Vereinbarung ziehen, da sie alle Erzeugnisse und Leistungen abnehmen (vgl. IFRS 11.B31). Da C aufgrund dessen alleine durch den Verkauf an die Parteien Zahlungsmittel generiert und im Übrigen auch keine – zur...