Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 156
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Ein Investor mit Entscheidungsbefugnissen in Bezug auf ein Beteiligungsunternehmen, der sog. Entscheidungsträger, hat zu beurteilen, ob er als Prinzipal oder als Agent einer anderen Partei handelt (IFRS 10.18 iVm. B58ff.). Dies ist insbesondere in den Fällen relevant, in denen Entscheidungsbefugnisse auf eine andere Partei übertragen oder delegiert wurden oder Investments zu Gunsten anderer gehalten werden. Ein Agent ist eine Partei, die überwiegend beauftragt wurde, im Namen und zum Vorteil einer oder mehrerer anderer Parteien (Prinzipal oder Prinzipale) zu handeln (IFRS 10.B58). Ein Prinzipal kann Entscheidungsbefugnisse für bestimmte Bereiche oder für alle maßgeblichen Tätigkeiten an einen Agenten übertragen. Die Entscheidungsbefugnisse des Agenten sind dem Investor zuzurechnen und der Investor kann mittelbar Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen haben, dh., der Investor kann mittelbar die schwankenden Renditen steuern und damit das Beteiligungsunternehmen beherrschen. Ein Prinzipal behält somit die Beherrschung über das andere Unternehmen. Der Agent übt keine Beherrschung iSd IFRS 10 über das Beteiligungsunternehmen aus. Es ist allerdings festzuhalten, dass
- ein Entscheidungsträger nicht allein deswegen als ein Agent zu charakterisieren ist, weil andere Parteien von den Entscheidungen betroffen sind bzw. an diesen profitieren (IFRS 10.B58), und
- die Verpflichtung, im Namen und zum Vorteil der Parteien zu agieren, die Rechte an den Entscheidungsträger übertragen haben, nicht allein verhindert, dass der Entscheidungsträger als Prinzipal handelt (vgl. EY, International GAAP 2023, Kap. 6, Abschn. 6.1). Wenn der einzige Entscheidungsträger eines Beteiligungsunternehmens kein Agent ist, ist dieser Prinzipal.
Tz. 157
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Bei der Beurteilung, ob der Entscheidungsträger als Agent oder Prinzipal handelt, sind unter Berücksichtigung sämtlicher Sachverhalte und Umstände folgende Kriterien zu berücksichtigen und zu einem Gesamturteil zusammenzufassen (IFRS 10.B60):
- der Umfang der Tätigkeiten, die der Entscheidungsträger vertraglich oder rechtlich bestimmen darf, und der Ermessensspielraum, den der Entscheidungsträger hat, wenn er Entscheidungen über diese Tätigkeiten trifft (IFRS 10.B62f.);
- Rechte, die von anderen Parteien gehalten werden (zB das Recht zum Entzug der Entscheidungsbefugnisse oder das Recht auf Abberufung des Entscheidungsträgers, IFRS 10.B64–B67);
- Vergütung des Entscheidungsträgers (bzw. Entlohnungs- und Anreizstrukturen, IFRS 10.B68–B70);
- Risikobelastung aus den schwankenden Renditen aus anderen Beteiligungen des Entscheidungsträgers am Beteiligungsunternehmen (IFRS 10.B71f.).
Tz. 158
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Die Kriterien a) und b) stellen dabei den rechtlichen und faktischen Entscheidungsspielraum (zB durch Gesellschaftsvertrag, verbindliche Vorgaben, Abberufungsrechte, Liquidationsrechte, Vetorechte, Autopiloten-Strukturen oÄ) dar. Die Kriterien c) und d) repräsentieren die wirtschaftliche Anreizstruktur (zB fixe bzw. Performance-abhängige Vergütungen, Höhe und Variabilität der Renditen, gleichgerichtete Interessenlage von Entscheidungsträger und Investoren). Je vielfältiger die Aktivitäten des Beteiligungsunternehmens sind und je größer die rechtlichen und faktischen Entscheidungsspielräume des Entscheidungsträgers sind, desto weniger ist von einem Agenten des Investors oder der Investoren auszugehen. Soweit aber einem einzelnen Investor uneingeschränkt einzelne oder mehrere, die Entscheidungsspielräume des Entscheidungsträgers einschränkende Rechte zustehen (zB Abberufungsrechte, Liquidationsrechte, uneingeschränkte Vetorechte), handelt es sich bei dem Entscheidungsträger um einen Agenten. Anhand der rechtlichen und faktischen Entscheidungsbefugnisse sowie der identifizierten wirtschaftlichen Anreizstruktur kann beurteilt werden, ob der Entscheidungsträger seine Entscheidungen überwiegend im eigenen Namen und zum eigenen Vorteil oder überwiegend im Namen und zum Vorteil des Investors trifft. Je stärker die Renditen des Entscheidungsträgers an die Höhe und/oder Variabilität der Renditen der (übrigen) Investoren geknüpft sind, desto wahrscheinlich ist, dass der Entscheidungsträger im eigenen Interesse und zum eigenen Vorteil handelt, dh. als Prinzipal und nicht als Agent eines Investors oder mehrerer Investoren. Je weniger die Rendite des Entscheidungsträgers von der Leistung des Beteiligungsunternehmen abhängt, desto eher liegt ein Agent vor. Sofern divergierende Interessen zwischen Entscheidungsträger und Investor bzgl. der Steuerung der maßgeblichen Tätigkeiten bestehen, deutet dies darauf hin, dass der Entscheidungsträger kein Agent des Investors ist.
Tz. 159
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Diese Beurteilung erfordert ein erhebliches Ermessen und ist nur in den Fällen eindeutig, in denen Abberufungsrechte vom alleinigen Investor gehalten werden, und eine Abberufung ohne Angabe von Gründen möglich ist (IFRS 10.B61).
Tz. 160
Stand: EL 51...