Prof. Dr. Peter Wollmert, Prof. Dr. Peter Oser
Tz. 21
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Angesichts des Übernahmeerfordernisses der IFRS durch die Europäische Kommission entstehen Auslegungsprobleme, wenn
- Definitionen oder Anwendungsempfehlungen nicht in das Gemeinschaftsrecht übernommen werden, weil sie entweder im Conceptual Framework (2018) (das weder ein Standard noch eine Interpretation ist und daher nicht endorst werden kann) oder in Verlautbarungen des Standardsetters enthalten sind, die zwar gemeinsam mit den Standards und Interpretationen veröffentlicht werden, aber kein integraler Bestandteil derselben sind (zB Basis for Conclusions, Implementation Guidances oder Illustrative Examples) und somit ebenfalls nicht von der EU übernommen werden;
- ein Standard oder eine Interpretation von der EU zwar übernommen worden ist, aber deren Veröffentlichung im EU-Amtsblatt am Bilanzstichtag noch aussteht;
- Standards, Interpretationen oder Teile davon (carve outs) nicht übernommen werden (so beispielsweise seinerzeit bei IAS 39 und bei dem Interimsstandard IFRS 14, der gänzlich nicht in europäisches Recht übernommen wird).
Tz. 22
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Die Europäische Kommission empfiehlt den Anwendern, Verlautbarungen des Standardsetters, die gemeinsam mit den IFRS veröffentlicht, aber kein integraler Bestandteil derselben sind (zB Basis for Conclusions, Implementation Guidances oder Illustrative Examples), "bei der Bestimmung der angemessenen Anwendung der IAS" entsprechend zu beachten. Ebenso soll das Conceptual Framework (2018) nach dem Willen der Europäischen Kommission eine "Grundlage für die Urteilsbildung bei der Lösung von Rechnungslegungsproblemen bilden" (vgl. hierzu im Einzelnen Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003, Kommentare zu bestimmten Artikeln der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002, Abschn. 2.1.5). Ausführlich zum Verbindlichkeitscharakter des Conceptual Framework (2018) und der Verlautbarungen des Standardsetters, die nicht integraler Bestandteil der Standards und Interpretationen sind, vgl. IFRS-Komm., Teil B, IAS 8, Tz. 65ff.
Tz. 23
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Wurde ein Standard oder eine Interpretation von der Europäischen Kommission übernommen, steht deren Veröffentlichung im EU-Amtsblatt am Bilanzstichtag aber noch aus, können diese dennoch bereits im Abschluss des betreffenden Geschäftsjahres angewandt werden, wenn der Zeitpunkt der Veröffentlichung vor dem "date of the financial statements" liegt und die jeweilige EU-Verordnung sowie die betreffenden Standards selbst eine Anwendung zum Bilanzstichtag gestatten (vgl. ARC, Summary Record Meeting of the Accounting Regulatory Committee and Contact Committee of 30. November 2005, S. 12). Die Europäische Kommission hat darauf verzichtet, den Begriff "date of the financial statements" näher zu bestimmen; uE erscheint es sachgerecht, auf den Zeitpunkt der Freigabe der Veröffentlichung (date of authorisation for issuance) nach IAS 10.17 zu rekurrieren (glA IFRS-Komm., Teil B, IAS 8, Tz. 52).
Tz. 24
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Wurde ein Standard oder eine Interpretation von der Europäischen Kommission noch nicht übernommen, sind die Unternehmen, die ihren Abschluss iSd. § 315e HGB nach den EU-IFRS aufstellen, nicht gehalten und in bestimmten Fällen nicht berechtigt, diesen IFRS anzuwenden. Sofern eine Vorschrift eines noch nicht übernommenen oder abgelehnten Standards mit den Normen eines bereits übernommenen IFRS harmoniert und nach IAS 8.10 der Zielsetzung des Abschlusses nicht zuwiderläuft, kann sie immerhin als Leitlinie für eine sachgerechte Auslegung der übernommenen IFRS dienen (vgl. hierzu Tz. 25). Kollidiert hingegen eine Vorschrift aus einem noch nicht übernommenen oder abgelehnten Standard mit einer Norm aus einem bereits übernommenen IFRS, so ist eine Anwendung des nicht endorsten Standards nicht zulässig (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003, Kommentare zu bestimmten Artikeln der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002, Abschn. 2.1.3).