Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 63
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Finanzielle Garantieverträge, kurz Finanzgarantien, werden als Verträge definiert, die den Garantiegeber verpflichten, eine bestimmte Zahlung zu leisten, um den Garantienehmer für einen Verlust zu entschädigen, den dieser erlitten hat, weil ein bestimmter Schuldner seiner im zugrunde liegenden Schuldinstrument festgelegten Zahlungspflicht bei Fälligkeit der Zahlung nicht nachkommt (vgl. IFRS 9 Appendix A). Finanzgarantien können rechtlich verschiedene Ausgestaltungen annehmen, genannt seien stellvertretend Akkreditive (Letter of Credit), Delkredereversicherungen sowie Credit-Default-Produkte (vgl. IFRS 9.B2.5 iVm. BCZ2.9(a); s. a. Burkhardt/Weis, IRZ 2007, S. 37ff.). Wie bereits im Abschnitt zum Anwendungsbereich ausgeführt, weisen Finanzgarantien Ähnlichkeiten zu Versicherungsverträgen und Derivaten auf (vgl. Tz. 15): Die Ähnlichkeit zu Versicherungsverträgen ergibt sich durch den gewährten Schutz gegen ein spezifisches Risiko und die wirtschaftliche Kompensation für einen erlittenen Schaden, jene zu Derivaten durch die Abhängigkeit von einem Risiko, dem geringen Kapitaleinsatz oder den Zukunftsbezug. Der IASB hatte im Jahr 2005für den Vorgängerstandard IAS 39 eine wortgleich in IFRS 9 übernommene Regeländerung bewirkt, wonach Finanzgarantien dem Grunde nach in den Anwendungsbereich des Finanzinstrumentestandards fallen (vgl. zur Entwicklung IFRS 9.BCZ2.10ff.), es sei denn,
- ein Unternehmen hat derartige Garantien schon immer als Versicherungsverträge angesehen und bilanziell entsprechend behandelt; oder
- das der Garantie zugrunde liegende Ereignis erfordert nicht den Eintritt eines Schadens, sondern führt bereits bei Bonitätsveränderungen zu Ausgleichszahlungen (sog. Credit-Spread-Produkte, die als Derivat zu bilanzieren sind).
Für den Garantienehmer sind weder die Vorschriften in IFRS 9 noch in IFRS 4 relevant, so dass er Garantien gem. IAS 37 zu bilanzieren hat. Ein Ansatz als Eventualforderung erfolgt danach lediglich, wenn die Inanspruchnahme so gut wie sicher ist (virtually certain).
Tz. 64
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Eine Finanzgarantie setzt der Definition zufolge das Vorhandensein und die Kompensation eines Verlusts (loss) voraus. Es stellt sich die Frage, ob der Ausdruck im wirtschaftlichen oder bilanziellen Sinne gemeint ist. Die Frage ist insofern bedeutsam, weil wirtschaftlich erlittene Verluste zwar irgendwann auch bilanziell ihren Niederschlag finden werden, die Zeitpunkte sich aber unterscheiden können – wirtschaftliche Verluste werden uU später erfasst als sie eintreten, so dass Zahlungen unter einer Garantie ggf. bereits zu bilanzieren sind, bevor ein bilanzieller Verlust ausgewiesen wird. Ein Blick in das Rahmenkonzept, wo der Begriff im Regelwerk definiert wird, hilft hier weiter: "Losses represent other items that meet the definition of expenses and may, or may not, arise in the course of the ordinary activities of the entity. Losses represent decreases in economic benefits and as such no different in nature from other expenses. Hence, they are not regarded as a separate element in this Conceptual Framework." (F.4.34). In diesem Absatz wird der Terminus eindeutig im bilanziellen Sinne verwendet, was die Bezugnahme auf die Aufwendungen (expenses), die Abnahme wirtschaftlichen Nutzens (decreases in economic benefits) sowie den eigenständigen Abschlussposten (separate element) belegt. In der folgenden Textziffer heißt es dann aber: "Losses include, for example, those resulting from disasters such as fire and flood, as well as those arising on the disposal of non-current assets." (F.4.35). Auch wenn sich hier infolge der Bezugnahme auf wirtschaftlich entstandene Schäden nicht mehr eindeutig feststellen lässt, ob der IASB wirtschaftliche oder bilanzielle Verluste meint, spricht insbesondere unter Hinzuziehung der vorherigen Textziffer mehr dafür, dass es dem IASB letztlich um bilanzielle Verluste geht.